TYRON

TYRON

„In meiner kurzen Zeit als Künstler habe ich schon ziemlich viel Ärger gehabt“, sagt slowthai gegenüber Apple Music. „Aber ich versuche eben immer, klare Statements abzugeben.“ Für einigen Wirbel sorgte der Rapper mit seinem Auftritt bei der Verleihung des Mercury Prize, bei dem er eine Boris Johnson-Maske wie einen abgetrennten Kopf präsentierte. Einige Monate später erntete er für seine sexualisierten Kommentare über die Komikerin Katherine Ryan bei den NME Awards 2020 heftige Reaktionen auf Twitter, woraufhin die Organisatoren des „Record Store Day“ ihn nicht länger als britischen Botschafter haben wollten. Ryan verstand die Aktion zwar als inszeniertes Rollenspiel, doch slowthai lieferte sich eine anschließende Auseinandersetzung mit einem Zuschauer und entschuldigte sich später für seinen „beschämenden Auftritt“.Die Hitze öffentlicher Debatten kennt der als Tyron Frampton geborene Künstler schon seit der Veröffentlichung seines Debüts „Nothing Great About Britain“ von 2019. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist nun der Nachfolger „TYRON“ entstanden. Das Album ist in zwei Hälften gegliedert, die wiederum aus jeweils sieben Tracks bestehen. Die erste Hälfte ist ungestüm, aufrührerisch, eine energiegeladene Fortsetzung von slowthais Fusion aus Punk und britischem Rap. Die zweite fällt dagegen verletzlich und reflektiert aus, auch die Beats klingen hier eher nachdenklich. Die Botschaft hinter dieser Struktur: Jede Geschichte hat zwei Seiten – und für Menschen gilt dies erst recht. „Wir alle haben eine Seite, die wir verbergen, und eine, die wir zeigen“, sagt slowthai. „Erwartungen gerecht zu werden ist das eine – das andere ist, einen Scheiß auf sie zu geben und einfach ehrlich mit sich selbst zu sein.“ Mit den neuen Songs, die mit Features von unter anderem Skepta, A$AP Rocky, James Blake und Denzel Curry aufwarten, will der Künstler vor allem all denen Mut machen, deren Selbstvertrauen unter Verurteilungen und dem stereotypen Denken anderer Menschen leidet. „Ich möchte den Menschen klar machen, dass sie nicht allein sind und sie selbst sein können“, sagt er. „Ich weiß, dass man, wenn es dunkel wird, ein bisschen Licht braucht.“ Entdecke alle Seiten von slowthai Track für Track.45 SMOKE„‚Rise and shine, let’s get it / Bumbaclart dickhead / Bumbaclart dickhead.’ Das ist ein Weckruf an mich selbst. Wenn du ständig Fehler machst oder Ärger hast, dann sagst du dir beim Aufwachen: ‚Ich will nicht aufwachen, ich will lieber den ganzen Tag weiterschlafen.‘ So ging es mir auch: Ich hatte ein beschissenes Leben voller Routinen, all diese Dinge, die ich nicht tun wollte – aber ich habe sie trotzdem getan, einfach um ihrer selbst willen oder weil es eben von mir erwartet wurde.“CANCELLED„Dieser Song ist ein Mittelfinger an die Cancel Culture. An die Leute, die dich am Boden sehen wollen und dir einreden, dass du ein schlechter Mensch seist. Ich habe mein Leben lang versucht, kein Klischee zu sein und an mir selbst zu arbeiten. Die Menschen können über mich sagen, was sie wollen – sollen sie ihre Geschichten über mich erzählen, am Ende kenne ich mich selbst am besten. Das habe ich begriffen, als wir den Track gemacht haben. Mir ging es ziemlich mies zu dem Zeitpunkt wegen all der Sachen, die da abgingen. Und Skep [Skepta, der Gast-MC auf diesem Track] hat mich da rausgeführt. Er sagte: ‚Mann, lass diesen Mist jetzt nicht über dein Leben entscheiden. Wenn überhaupt, dann nutze diesen Moment als Antrieb und mach deine Meinung noch klarer.‘“MAZZA„‚Mazza‘ kommt von ‚mazzalean’, es ist mein eigenes Wort. Es steht einfach für eine krasse Sache. Der Song ist für Menschen, die ADHS [slowthai selbst lebt mit der Erkrankung] oder ADS haben und sich auf nichts konzentrieren können. Wenn einfach alles so schnell auf dich einprasselt wie in einem Rausch. So sah es damals auch in meinem Kopf aus. Ich habe viel getrunken, war immer unterwegs, habe viel gesehen und viel Scheiße gebaut. Krasse Zeit. Als ich den Track gemacht hatte, war ich total aufgeregt und habe sofort [A$AP] Rocky via FaceTime angerufen. Wir hatten hier und da schon an ein paar Kleinigkeiten gearbeitet. Er sagte nur: ‚Das ist heavy. Hey, komm vorbei!‘ Er war in London, also bin ich zu ihm und wir haben einfach weiter an dem Track geschraubt.“VEX„Hier geht es einfach um meine Wut auf Social Media und die Fakeness, die da herrscht. Weil dort jeder versucht, jemand anderes zu sein. Alle zeigen nur die guten Seiten ihres Lebens. Am Ende fühlt man sich einfach beschissen. Selbst wenn dein Leben perfekt wäre, denkst du irgendwann: ‚Ah, es könnte alles noch besser sein.‘ Dabei sind die meisten dieser Menschen nicht mal glücklich – deshalb suchen sie Bestätigung im Internet.“WOT„Ich hatte mich mit Pop Smoke getroffen und am gleichen Abend diesen Song aufgenommen. Es war der Abend, an dem er erschossen wurde. Am nächsten Tag stand ich um 6 Uhr auf, weil ich zu einem Videodreh mit Disclosure musste [für ‚My High‘]. Da habe ich es erfahren. Ich war einfach nur erschüttert. Ursprünglich hatte ich Rocky kontaktiert, um einen zweiten Track mit ihm zu machen, aber daraus wurde nichts, weil er seinen Part nicht fertig bekommen hat. Mein Part auf dem Track fühlte sich aber so an, als würde er die Energie von Pop Smoke ganz gut einfangen – die Vibes sind einfach gut. Ich habe den Track so gelassen, wie er war – er kommt direkt zum Punkt. Er geht los und du weißt sofort, was Sache ist.“ DEAD „Wir sagen ‚das ist tot‘ im Sinne von: Es ist nicht gut, es ist scheiße. Also sage ich: ‚Yo, all diese Dinge hier, die sind für mich tot.‘ Es gibt da diese Line: ‚People change for money / What’s money with no time?‘ Das geht an die Menschen, die behaupten, der Erfolg habe mich verändert. Aber das stimmt nicht, ich bin an bestimmten Dingen gewachsen oder aus ihnen herausgewachsen. Nicht das Geld hat mich verändert, sondern die Tatsache, dass ich begriffen habe, dass gewisse Dinge mich nicht weiterbringen. Ich verbringe meine ganze Zeit damit, mich und meine Kunst zu verbessern – da ist Geld einfach irrelevant. Ich habe ja nicht einmal Zeit, es auszugeben. Als ob man sagen würde, dass alles tot ist. Ich fokussiere mich lieber darauf, mich mit meiner Musik und meiner Kunst unsterblich zu machen.“PLAY WITH FIRE„Auch wenn du versuchst, bestimmte Dinge im Leben hinter dir zu lassen – so ganz wirst du sie nie los. Sie bleiben in deinem Kopf. In ‚PLAY WITH FIRE‘ geht es darum, Dinge loszulassen, aber gleichzeitig an ihnen festzuhalten. Wenn der Track dann in [das folgende Stück] ‚i tried‘ übergeht, dann ist das, als würde man sagen: ‚Ich habe alles versucht, ich wollte ein anderer Mensch werden, aber es hat nicht funktioniert.‘ Aber auf der anderen Seite: Ich habe es wirklich versucht. Niemand kann sagen, ich hätte es nicht probiert. Man muss sich den Dingen erst mal stellen, bevor man den nächsten Schritt machen kann. Wenn du nicht wirklich verstanden hast, warum etwas schlecht ist, kannst du es auch nicht besser machen.“i tried„‚Long road / Tumble down this black hole / Stuck in Sunday league / But I’m on levels with Ronaldo.’ Die Line beschreibt, dass es ein Kampf war, dorthin zu kommen, wo ich heute bin. Und selbst jetzt fühle ich mich, als hätte ich ein schwarzes Loch vor mir. Wenn man das Gefühl hat, in sich selbst zu versinken – sei es durch zu viele Drogen oder zu viel Alkohol –, dann vergräbt man sich selbst in einem Loch und schaltet einfach den Autopiloten ein. Es ist wichtig, das zu verstehen und sich diesen Problemen zu stellen. In diesem Song geht es darum, meinem Selbstvertrauen und meinem wahren Ich einen Boost zu geben. Sich zu sagen: ‚Yo, Mann, du bist der Beste. Wenn das hier Fußball wäre, wärst du der Weltfußballer des Jahres.’ Wir konzentrieren uns immer darauf, Ansprüchen gerecht zu werden. Aber wir müssen begreifen, wer wir wirklich sind, was unsere Qualitäten sind. ‚I’ve got a sickness / And I’m dealing with it.‘ Ich versuche es. Ich versuche einfach alles. Und mit ein bisschen Hoffnung und ein bisschen Glück kann ich die Person werden, die ich sein will.“focus„Es gibt gewisse Menschen und einen gewissen Lifestyle und ich war ein Teil davon. Aber ich habe immer gewusst, dass mir das gegen den Strich geht. Ich wollte nie im Knast landen. Du machst entweder eine Ausbildung oder du baust Scheiße und landest womöglich hinter Gittern. Viele Leute aus meinem Umfeld sind immer noch in diesem Kreislauf. In diesem Track sage ich: ‚Konzentriere dich auf etwas anderes.‘ Ich komme aus der Scheiße, aber ich habe mich angestrengt und bin da rausgekommen. Und warum? Weil ich den Fokus nie verloren habe.“terms„Mit den ‚terms‘ sind die Bedingungen gemeint, die mit Popularität einhergehen, und mit … Ruhm. Ich mag dieses Wort nicht. Ich hasse Worte wie ‚Modeerscheinung‘ oder ‚Ruhm‘. Die lassen mich erschaudern. Vielleicht liegt es an ihrem Klang. Aber trotzdem musst du mit Ruhm und seinen Folgen umgehen. Und damit, dass diese Folgen anders sind, als du erwartet hast. Es bereitet echt Kopfschmerzen, wenn man dafür verurteilt wird, auch nur ein Mensch zu sein. Sobald du Anerkennung für deine Kunst bekommst, bist du kein Mensch mehr – du bist ein Produkt. Dominic [Fike, Gastsänger] bringt das in der Hook sehr schön auf den Punkt.“push„‚Push‘ ist die Abkürzung für ‚praying until something happens‘ – beten, bis etwas passiert. Aber wenn man in der Klemme steckt, muss man immer weiter pushen. Auch wenn man am Tiefpunkt ist. Darum geht es doch im Leben, oder? Sich selbst antreiben. Sich mitziehen zu lassen ist einfach, aber wenn man sich selbst pusht, dann konditioniert diese Arbeit den Verstand. Es stärkt dich geistig und körperlich, und du gewinnst einfach viel. Ich war früher religiös – das war in der Zeit, als mein Bruder starb und ich noch sehr jung war. Zum Geburtstag habe ich mir dann eine Bibel gewünscht, das war schon kranker Scheiß. Aber dieses Album jetzt … Es hat mir zwar nicht den Glauben an Gott wiedergegeben – aber der Glaube an die Menschen und mich selbst, der ist irgendwie wiederhergestellt worden. Alle, die am Album mitgearbeitet haben, sind meine Freunde. Das sind alles Menschen, die mir geholfen haben, durch etwas durchzukommen. Deb [Never, Gastsängerin auf ‚push‘] und ich bezeichnen uns als Zwillinge. Sie ist wie eine Schwester, und es fühlt sich an, als würde ich sie schon mein Leben lang kennen, obwohl ich sie mein ganzes Leben lang eben nicht gekannt habe.“ nhs„Hier geht es um Wertschätzung. Der NHS [National Health Service] – er arbeitet seit Generationen daran, Leben zu retten – wird einfach als selbstverständlich angesehen. Für den NHS sind alle Menschen gleich, jeder wird gleich behandelt. Es musste erst diese Pandemie kommen, bis wir denen applaudiert haben, die ihr Leben für andere aufs Spiel setzen. Diese Menschen sollten einfach ständig Applaus bekommen, am Ende jedes Arbeitstags. Wir sitzen hier und beschweren uns und wollen immer mehr. Ich weiß nicht, ob das ein menschlicher Defekt ist oder einfach Konsumdenken: Du bekommst etwas, aber du willst sofort das Nächstbeste. Ich kenne das von mir selbst. Aber es gibt nie ‚das Beste‘, weil es immer noch etwas anderes gibt. Sei einfach glücklich mit dem, was du hast. Du wirst am Ende eh nur ein Aneurysma bekommen.“feel away „Dom [Maker, Co-Produzent und eine Hälfte von Mount Kimbie] und James [Blake] arbeiten oft zusammen. Sie nehmen einen Haufen Zeug auf, schneiden das Material und machen dann Loops daraus. Ich bin so viele dieser Loops durchgegangen, und auf einmal dachte ich: ‚Das ist der Richtige.‘ Wir spielten ein bisschen damit und ich hatte den Text dazu sofort im Kopf und habe meinen Part aufgenommen. James mochte ich schon zu Schulzeiten. Also sagte ich: ‚Wir sollten James ins Boot holen.‘ Wir schickten ihm die Aufnahmen, und ich dachte: ‚Ah, er wird damit sicher nichts anfangen können.‘ Aber am nächsten Tag hatten wir den Track. Ich war echt aufgeregt. Ich habe ihn meinem verstorbenen Bruder gewidmet. Aber im Song geht es darum, sich in seinen Partner hineinzuversetzen. Von meiner Mutter und von meinem Freundeskreis weiß ich: Wenn eine Frau schwanger wird, neigt der Mann dazu, die Frau zu verlassen. Meistens ist es also die Frau, die dann mit den Problemen allein zurechtkommen muss. Ich wollte das mal umdrehen – die Frau verlässt den Mann. Und er muss all den Schmerz durchmachen, um wieder in die Spur zu kommen. Das ist das Schöne an dem Song.“adhd„Als ich sehr jung war, haben meine Mutter und die Menschen um mich herum ADHS nicht wirklich ernst genommen – so nach dem Motto: ‚Das ist einfach ein hyperaktives Kind, das will nur Aufmerksamkeit.‘ Sie haben das nie als eine Krankheit gesehen. Und ich denke, der Song rundet das ganze Album gut ab: Ich musste mit ADHS umzugehen lernen und andere Leute aus meinem Umfeld auch. Aber für Außenstehende ist es schwer zu verstehen, weil sie die Impulse dahinter nicht checken – weil sie nicht begreifen, dass das vielleicht eine Reaktion auf etwas ist, das man nicht kontrollieren kann. Du versuchst, es im Griff zu haben, aber es ist in dir verankert. Der Song ist wie mein Fazit – wie das Ende eines Buches, wenn man zu dem Teil kommt, an dem plötzlich alles Sinn ergibt. Ich habe mich noch nie einem Song so verbunden gefühlt wie diesem. Auf ‚adhd’ klingt auch meine Stimme so natürlich wie möglich – ich presse sie nicht oder stelle sonst was mit ihr an. Ich bin auch nicht aggressiv. Ich spreche einfach ganz sanft, aber dann kommt am Ende diese Wut raus. Und dann folgt noch ein Kuss – aber nur, um das Ganze etwas angenehmer zu machen.“

Disc 1

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