First Two Pages of Frankenstein

First Two Pages of Frankenstein

Etwa ein Jahr nach der Pandemie – und im zweiten Jahrzehnt seiner Karriere als Frontmann von The National – war es Matt Berninger nicht mehr möglich, einen weiteren Song zu schreiben. „Ich wollte mich nicht preisgeben“, sagt er gegenüber Apple Music. „Ich war ausgebrannt von Introspektion und Selbstanalyse und davon, all diese Songs über komplizierte persönliche Dinge zu schreiben. Es war ein Chaos, das ich in meinem Kopf nicht aufräumen wollte. Also habe ich es einfach vermieden.“ Monatelang versicherte er seinen Bandkollegen, dass er Fortschritte gemacht habe. Aber als es an der Zeit war, mit ihnen ins Studio zu gehen, „merkte jeder: ‚Oh, vielleicht haben wir hier ein Problem‘“, sagt er. „Ich musste mich buchstäblich der Musik stellen, ich konnte nichts tun und keine Texte vortragen – ich ging in die Gesangskabine und hab meinen Mund kaum aufbekommen. Ich konnte nicht frei assoziieren, ich konnte mir nicht einmal Melodien ausdenken.“ Trotz der Sorge, dass er nie wieder schreiben könnte, blieb Berninger dran. Nachdem er die Single „Weird Goodbyes“ fertiggestellt hatte, ging er wieder auf Tournee, wo er „gezwungen war, auf der Bühne entweder unterzugehen oder zu schwimmen“, wie er sagt. „Langsam fing ich aber wieder an, zu schwimmen.“ Das Ergebnis ist „First Two Pages of Frankenstein“, das neunte Album der Indie-Rock-Veteranen – und das erste, seit Multi-Instrumentalist Aaron Dessner mit Taylor Swift zusammenarbeitet, die hier zusammen mit anderen namhaften langjährigen Kolleg:innen wie Sufjan Stevens und Phoebe Bridgers zu Gast ist. „Die Musik, zu der ich schließlich eine Verbindung aufnehmen konnte, war diejenige, die mich tröstete“, sagt Berninger über das Album, auf dem auch Texte von seiner Frau Carin Besser zu hören sind. „Es fühlte sich an wie ein Freund, als würde es mir emotional guttun, als würde der Knoten platzen. Ich glaube, aus meinem Kopf herauszukommen und aus dem Karussell auszusteigen, in dem ich mich befand, brach den Bann. Letztlich war mein Ansatz, diese seltsamen, verschwommenen, dunklen Gefühle dem Sonnenlicht auszusetzen. Dieses Album ist genau das – ein Album, das ich machen musste, um mich selbst zu heilen.“ Hier erzählt Berninger die Geschichten hinter einigen der wichtigsten Stücke des Albums. „Once Upon a Poolside“ (feat. Sufjan Stevens) Es beginnt mit der Vorstellung, dass man kurz davor ist, auf die Bühne zu gehen, und der Song, zu dem man rausgeht, ist fast vorbei und man kann es nicht mehr hinauszögern. Du musst einfach loslegen und dein Ding durchziehen. Der Song fühlt sich an wie ein Prolog für ein kompliziertes Durcheinander. Es geht um die Zeile, die mir meine Frau geschrieben hatte: „What was the worried thing you said to me?“ („Was war das Sorgenvolle, das du zu mir gesagt hast?“). Das ist die einzige Zeile, die in diesem Song von ihr ist, aber ich komme immer wieder darauf zurück. Es fühlt sich gut an, da es einleitend klarstellt, dass diese Platte eine Menge sorgenvoller Dinge auspacken wird. „Eucalyptus“ Es ist ein Song über „Was machst du mit all den Dingen, die nicht wichtig sind?“ Wenn es etwa zu einer Trennung kommt und du darüber nachdenkst: „Was ist hiermit? Was ist damit? Was ist mit dem Baum, den wir zusammen gepflanzt haben? Was ist mit dem Wasservertrag, den wir haben?“ All diese kleinen Details sind in gewisser Weise albern, aber man spürt jedes einzelne. Ich glaube, jede gesunde Ehe versucht immer herauszufinden, wie sie sich vor dem Auseinanderbrechen bewahren kann – das ist eine ständige Herausforderung. Ich schaue gerne in die unschönen Ecken, was das wirklich bedeuten würde, wie sich das anfühlen würde. Dabei blicke ich oft über den Tellerrand und frage mich: „Was wäre, wenn die Band auseinanderfällt?“ „New Order T-Shirt“ Du denkst nach, du hast Erinnerungen, die bei dir bleiben. Manchmal verfolgen sie dich, manchmal sind sie wie ein kleiner Glücksbringer in deiner Tasche, den du in Zeiten der Not ergreifst oder an dem du dich festhältst. Aber sie sind immer sehr klein. Manche Menschen sind gut dazu in der Lage, sich zu erinnern, aber niemand erinnert sich an ein fünfminütiges Gespräch. Du erinnerst dich nur an drei Sekunden eines Gesprächs oder an winzige Fragmente oder Bilder oder Momente. Deshalb wollte ich einen Quilt aus diesen kleinen, wichtigen Erinnerungen zusammenstellen. Die meisten davon sind wirklich liebevolle, lustige und erfreuliche Kleinigkeiten, an denen man festhalten möchte. Jeder Augenblick deines Lebens könnte ein Moment sein, der dir für immer in Erinnerung bleibt, also mach ihn zu einem guten. „Tropic Morning News“ Meine Frau und ich schreiben nicht zusammen in einem Raum, und wir reden auch nicht wirklich viel über Songs – es ist eher so, dass ich mich reinhänge, tonnenweise Melodien singe und versuche, Worte zu finden. Sie bewahrt dagegen nur Bruchstücke von kleinen Ideen oder Phrasen auf. Also plündere ich einfach ihren Materialvorrat. Sie holt Wildblumen und Rüben aus dem Wald, und dann komme ich und füge Molchfüße, Froschschenkel und all den anderen Scheiß dem Hexenkessel hinzu, um etwas zu machen, das einen Zauber hervorbringt. Aber oft sind es ihre unglaublichen kleinen Fragmente, die die magischsten Zutaten sind. Den Ausdruck „Tropic Morning News“ nutzte sie als skurrile Beschreibung der düsteren Nachrichtenlage und Untergangsstimmung. „The Alcott“ (feat. Taylor Swift) Ich habe mir eine Szene vorgestellt – einen in sich geschlossenen Moment und eine Erzählung zwischen zwei Menschen. Zwei Leute treffen sich an einem Ort, an dem sie früher abgehangen haben, oder die andere Person hat sie vielleicht nicht erwartet, wusste aber, dass sie da sein würde. Es sind einfach zwei Menschen, die vielleicht die Chance haben, sich wieder zu treffen, vielleicht aber auch nicht. Ich schrieb den Text und leitete es Aaron weiter, und als er Taylor ein paar Sachen schickte, hörte sie sich das an und konnte sich sofort in die Person hineinversetzen, von der ich sprach. Also schrieb sie ihren Teil als Reaktion auf mich, und zwar aus der Perspektive meiner Frau, über die ich geschrieben hatte. Als Carin das hörte und davon, wie Taylor Swift ihre Figur in einem Song verkörperte, indem sie auf mich reagierte, war das für alle großartig. Es war ein wirklich cooler Moment. Es war, als ob du einen Weg entlanggehst und denkst, du bist allein, doch plötzlich taucht jemand aus dem Nichts auf und begleitet dich auf diesem Weg. „Your Mind Is Not Your Friend“ (feat. Phoebe Bridgers) Phoebes Gesang ist einzigartig. Du kannst sie sofort heraushören. Ihre Präsenz und die Art, wie sie singt, haben etwas unglaublich Beruhigendes und Tröstliches an sich. Der Titel des Songs war etwas, das mir meine Frau im Laufe des Jahres immer wieder gesagt hat, und ich habe mich einfach an diesem Gedanken festgehalten. Das war wirklich hilfreich, denn dadurch habe ich es geschafft, nicht mir die Schuld zu geben. Es war nicht meine Schuld, dass ich in dieser Lage war, es war die Schuld meines Geistes. Es lag nicht an mir, sondern an meinem Verstand, der mir Streiche spielte. Wenn Phoebe das sang, war das in vielerlei Hinsicht die Stimme meiner Frau, die in meinem Kopf ein wenig nachhallte. Ich glaube, deshalb hat es sich gut angefühlt, ihr etwas zu schicken.

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