Cowboy Tears

Cowboy Tears

„Wenn ich dieses Album höre, breche ich in Tränen aus.“ Als der Alt-Pop-Künstler Oliver Tree im Jahr 2020 sein Debütalbum „Ugly is Beautiful: Shorter, Thicker & Uglier“ veröffentlichte, verwirrte er das Publikum: War er echt? Oder war er eine Kunstfigur? Wohl ein bisschen von beidem – ein Visionär mit einem feinen Gespür dafür, was viral geht. Jetzt, auf seinem zweiten Album (und dem ersten seit seinem selbst beschlossenen, aber nur kurzzeitigem Rückzug aus dem Musikgeschäft), geht es ihm um Offenheit. Und um einen neuen Emo-Country-Sound. „Wenn ich mir dieses Album anhöre, breche ich in Tränen aus“, sagt er gegenüber Apple Music. „Aber die Wahrheit ist, dass es wichtig ist, zu weinen. Es ist so wichtig für die Leute, es rauszulassen und es nicht zurückzuhalten, bis es in Wut und Gewalt ausbricht. Alle müssen weinen, aber vor allem Männer, die harten Kerle und Machos. Mein Großvater war ein Cowboy. Sein Großvater war ein Cowboy. Ich kopiere keine andere Kultur oder etwas anderes, das nicht zu meiner DNA gehört.“Aufgenommen auf der kalifornischen Ranch seiner Großeltern während der COVID-19-Pandemie, ist „Cowboy Tears“ eine deutliche Abkehr von Trees erstem Album: voller twangy TikTok-Emo („California“, „Cowboy Tears“) und Anklänge an den Stadionrock der 90er-Jahre („Bitter Sweet Symphony“ von The Verve hört man in „Swing & A Miss“, „Every Morning“ von Sugar Ray in „Freaks & Geeks“). Das ist Eklektizismus in seiner spielerischsten Form. Im Folgenden führt Oliver Tree Apple Music durch die Themen von „Cowboy Tears“, Stück für Stück. Er wünscht sich nur, dass die Hörer:innen auch ihre eigenen Bedeutungen finden.„Cowboys Don’t Cry“ Ich könnte sagen, „Oh ja, den Track habe ich mit dieser und jener Person gemacht“ oder „Ich spiele dies und das Instrument“, aber das ist mir alles nicht wichtig. Die Botschaft ist viel wichtiger: Es ist die Geschichte vom Ende einer Beziehung, wenn zwei Menschen versuchen, es irgendwie doch noch zu schaffen, aber es hoffnungslos ist. Wie eine Drehtür, und die Öffnung schließt sich immer weiter, bis zu dem Punkt, an dem es gar keinen Eingang mehr gibt. [Es geht darum,] das zu akzeptieren, und zu lernen, allein glücklich zu sein.„Swing & A Miss“Dieser Song handelt von einem Dreier, der geplant war, aus dem dann aber doch nichts wurde. Während ich „Cowboy Tears“ aufnahm, riefen mich diese beiden Mädchen an, um eine Ménage-à-trois zu vereinbaren. Ich habe gewartet und gewartet, aber sie sind nie aufgetaucht. Als ich am nächsten Tag aufwachte, hatte ich eine Sprachnachricht vom Bezirksgefängnis von L.A., in der die beiden mich baten, ihre Kaution zu bezahlen. Ich habe stattdessen diesen Song für sie aufgenommen. Später habe ich herausgefunden, dass sie Kreditkartenbetrügerinnen waren.„Get Well Soon“Hier geht es um den Versuch, eine kaputte Person zu retten, und dabei festzustellen, dass das unmöglich ist. Das ist nicht dein Job. Egal, wie sehr man jemandem helfen will, egal, was man versucht, für sie zu tun und ihr etwas zu bieten, wir können sie nicht heilen. Die Leute müssen die notwendige innere Arbeit selbst leisten, um sich allein zu helfen. Wir sind alle so verdammt einsam, dass wir uns denken: „Da kann ich doch genauso gut zusammen mit einer anderen Person einsam sein und mich selbst hassen, zusammen mit einem Menschen, der sich selbst hasst.“ Aber so läuft das nicht. Man muss an sich selbst arbeiten und sich die nötige Zeit nehmen, um sich zu heilen.„Freaks & Geeks“Man könnte diesen Track als Fortsetzung der Themen des letzten Albums betrachten. Ich werde mich wahrscheinlich immer wie ein Außenseiter fühlen. Egal, wie sehr ich in den Mainstream eindringe, ich habe nie das Gefühl, in irgendein Musikgenre oder eine bestimmte Szene zu passen. Ich sehe niemandem ähnlich. Ich verhalte mich nicht wie die anderen Künstler:innen, so, wie ich mich präsentiere. Und dabei bin ich nicht einmal einzigartig. Niemand ist wirklich einzigartig. Wir sind alle gleich und wir sind alle so verschieden. In diesem Song beschäftige ich mich mit diesem Konzept.„Doormat“In „Doormat“ geht es darum, dass man einer Person erlaubt, auf einem herumzutrampeln und wie Scheiße zu behandeln. Ich war in einer Beziehung, in der ich das Gefühl hatte, ein menschlicher Boxsack zu sein. Erst am Ende der Beziehung merkte ich, dass ich vor Liebe blind war und an der Fantasie festhalten wollte. Tatsache war aber: Ich wurde wie Scheiße behandelt. Doch das muss nicht unbedingt eine Beziehung sein: Es könnte auch die Art sein, wie ein:e Freund:in dich behandelt. Ich versuche, meine Songs so offen für Interpretationen wie möglich zu halten.„Suitcase Full of Cash“Das Thema dieses Songs ist, wie besessen unserer Gesellschaft von Geld und Gier ist. Egal, wie viel wir haben, es ist nie genug, und es wird uns nie wirklich glücklicher machen. Er ist eine Fortsetzung von „Cash Machine“ von [meinem ersten Album], „Ugly is Beautiful“, der ja auch schon davon handelte. Und obwohl ich die Thematik schon in einem Song behandelt habe, habe ich einige Aspekte noch nicht angesprochen. Manche denken vielleicht: „Oh Mann, ihm gehen die Ideen aus.“ Aber für mich ist es eher so: „Nein, ich habe einfach noch nicht alles dazu sagen können.“ Ich habe einige Aspekte angesprochen, aber es gibt noch so viel mehr.„Cigarettes“Ich kämpfe mit Suchtproblemen, seit ich 15 Jahre alt war. Während der Arbeit an diesem Album bin ich vollkommen nüchtern geworden. Und trotzdem kämpfe ich immer noch mit der Sucht. Zu der Zeit, als ich es schrieb, rauchte ich Kette, eine Zigarette nach der anderen. Ich hatte gerade mit dem Kiffen aufgehört. Ich habe ein Pfund Gras im Monat geraucht – also in der Größenordnung von Wiz Khalifa. Ich dachte, es würde mir Energie geben, aber als ich es absetzte, wurde mir klar, dass ich einfach von Natur aus ein sehr energiegeladener Mensch bin. Gras hat damit nichts zu tun. Jedenfalls merkte ich, als ich im Studio war, dass ich nicht länger als 15 Minuten durchhalten konnte, bis ich das Verlangen hatte, eine zu rauchen. Also wollte ich einen Song machen, der mich daran erinnert, dass ich mich mit jedem Zug umbringe: „Was mache ich hier eigentlich? Ich versuche offenbar nur, daran zu sterben.“„Balloon Boy“Für mich ist dieser Song eigentlich der traurigste. Und in gewisser Weise der persönlichste. Er handelt davon, wie ich meinen Lebensweg wählte und meine Träume verfolgte, und wie ich mein Leben, meine Familie, meine Freunde und Freundinnen aufgeben musste. Das passiert immer und immer wieder. Ich kann nicht wirklich präsent sein; es ist unmöglich. Es ist sehr schwer für mich, jemandem nahe zu sein, außer den Menschen, die gerade bei mir sind, und meinen Mitarbeiter:innen, denn das sind alle meine besten Freund:innen; mein Team, alle sind bei mir. Ich schwebe in der Luft. Ich gehe dahin, wohin der Wind mich trägt, wie an einem Ballon. Ich halte mich nur an diesem winzigen Faden aus Zahnseide fest, und jeden Moment kann er reißen.„Things We Used To Do“In vielerlei Hinsicht geht es darum, dass die Zeit vergeht, während man auf eine Person wartet – die man nie wieder sehen wird. Das könnte eine Person sein, mit der ich zusammen war, oder ein Freund oder ein geliebter Mensch sein, der gestorben ist. In einer Beziehung stellt man sich die Frage: „Denkt diese Person an mich? Komm ich überhaupt in ihrem Kopf vor, weil sie mit nichts als ihrem eigenen Leben zu tun hat?“ Das Leben ist turbulent und es passiert eine Menge. Alle sind sehr beschäftigt und versuchen einfach nur, zurechtzukommen.„California“„California“ ist ein Stück über die Heimat. Ich habe 19 Jahre lang in Santa Cruz gelebt. Ich bin dort aufgewachsen. Dann war ich ein paar Jahre in San Francisco. Die meiste Zeit meines Erwachsenenlebens habe ich in Los Angeles verbracht, wenn ich nicht gerade auf Reisen war. Kalifornien ist meine Heimat, und wenn ich sterbe, wird mein Leichnam hierher überführt. Hierher wird der Sarg kommen, wenn alles vorbei ist. Es gibt so viele Klischeesongs über Kalifornien, aber ich glaube, ich habe noch keinen Song darüber gehört, wie jemand stirbt und nach Kalifornien zurückgebracht wird.„Playing With Fire“Dieser Song handelt von all den Risiken, die wir eingehen, und darum, wie haarscharf wir jeden einzelnen Tag an der Selbstzerstörung und dem Tod vorbeischrammen. Man kennt eine Menge Metaphern dafür, wie zum Beispiel den Seiltanz splitternackt auf einem Überlandkabel, oder all die Arten der Selbstverletzung, des Drogenmissbrauchs, aber auch normale alltägliche Dinge wie Autofahren. Allein, wenn wir jeden Tag zur Arbeit fahren, können wir alle in Nullkommanichts in Flammen aufgehen. Durch unsere pure Existenz spielen wir mit dem Feuer. Es fängt mit dem einen Streichholz an, das angezündet und ausgepustet wird. Das ist sehr symbolisch für das, was es für mich bedeutet, und am Ende geht alles in Flammen auf.„The Villain“Wenn es mit der Liebe nicht klappt, wird sie zu Hass, und aus Hass wird schnell Krieg. Wir lieben einen Menschen so sehr und dann hassen wir ihn so sehr. Diese beiden Teile unseres Gehirns liegen direkt nebeneinander, sie sind eng miteinander verflochten, und beide sind mit der Leidenschaft verbunden. Im Liebeskrieg gibt es keine Guten. Beide Seiten haben Dinge getan, die zum Leiden des anderen beitragen. Darum geht es mir in diesem Song. Ich nehme das Konzept des Krieges und wende es auf das Ende einer Beziehung an.„Cowboy Tears“Der Song bringt für mich das Album auf den Punkt: Es ist okay, zu weinen, und es gibt keinen Ort, an dem du dich verstecken kannst. Und in diesem Song geht es tatsächlich um Selbstmord. Während der Aufnahme des Albums hat eine meiner Partnerinnen versucht, sich umzubringen, und den Song habe ich für sie geschrieben. Es haben sich schon einige meiner Freunde umgebracht, und mit dem Song will ich den Leuten zu verstehen geben, dass sie nicht alleine sind. Wenn ich mit diesem Song das Leben eines Menschen retten kann, ist das ein großer Erfolg für mich. Wenn ich wirklich nur einen Menschen retten kann, ist es der wichtigste Song auf dem ganzen Album.

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