The Sacred Veil

The Sacred Veil

Im Jahr 2005 verlor der Dichter Charles Anthony (Tony) Silvestri seine Frau Julie an Eierstockkrebs. Sein 12-sätziges „The Sacred Veil“ erzählt die Geschichte des Paares in Texten und Poesie von Silvestri und seiner verstorbenen Frau, die Komponist Eric Whitacre in Klänge übersetzt – eine Geschichte über Liebe, Schmerz, Verlust und die Suche nach innerem Frieden. Die brutale Offenheit medizinischer Aufzeichnungen, poetische Ausdrücke reinster Liebe, ergreifende und humorvolle Einblicke sowie die beruhigende Kraft der Freundschaft verbinden sich in der puren Schönheit von sehr persönlicher Musik, die Whitacre für Chor, Cello und Klavier gesetzt hat. Die Idee eines „heiligen Schleiers“ kam Silvestri bei seinen Besuchen im Krankenhaus: „Ein Krankenhauszimmer ist heilig“, sagt er zu Apple Music. „Es sind Orte, an denen Geburten und Sterbefälle stattfinden, numinose Ereignisse also. Es gibt Zeiten, in denen der Schleier zwischen dieser und der nächsten Welt sehr dünn wird – und das war ein Trost für mich, denn obwohl Julie nicht physisch bei mir ist, ist sie doch genau hier.“Von Beginn an verankert Whitacre seine Musik auf dem mittleren C, das den Schleier zwischen Geburt und Tod selbst darstellt und um den sich alle anderen Noten bewegen. Immer wieder vereinen sich Liebe und Trauer in aufrüttelnden Zusammenstößen von Dur- und Mollakkorden, während Whitacre mit seinen belegten Chorharmonien und quecksilbernen Tonartenwechseln unzählige Stimmungen nachzeichnet. Ein solch intimes Werk kann nur aus einer tiefen emotionalen Verbindung heraus entstehen, wie sie Whitacre und Silvestri pflegen – die kreative Freundschaft hat bereits mehrere Chorwerke hervorgebracht: „Ich hätte dieses Stück nicht schreiben und durch Katharsis und Heilung gehen können, wenn ich nicht mit Eric gearbeitet hätte“, sagt Silvestri. „Er versteht und kennt mich.“ Mit Whitacres Ermutigung konnte Silvestri die Kraft aufbringen, die Tagebücher und medizinischen Aufzeichnungen seiner Frau zu lesen, die das vernichtende Herz des Werkes bilden. „Ich fühle mich wie Dante, den Virgil – Eric Virgil – auf seiner Reise begleitet“, sagt der Dichter. Im Folgenden führen uns Silvestri und Whitacre Satz für Satz durch „The Sacred Veil“, das vom Los Angeles Master Chorale unter der Leitung von Whitacre mit dem Cellisten Jeffrey Zeigler und der Pianistin Lisa Edwards uraufgeführt wurde.The Veil OpensEric Whitacre: „Gleich zu Beginn kann man Julies Thema in drei Noten hören: mittleres C und die es umgebenden Terzen. Auch das Cello beginnt auf dem mittleren C, das den Schleier symbolisiert. Diese Ideen durchziehen das ganze Stück. Jede Phrase von Tonys Gedicht wird dreimal wiederholt. Ich hoffte, diese Themen sowohl musikalisch als auch metaphysisch zu etablieren und die Idee der Zahl Drei als das bestimmende Prinzip des Stücks darzustellen.“Tony Silvestri: „Vom textlichen Standpunkt aus gesehen ist der erste Satz wie ein griechischer Chor. Er symbolisiert die Thematik dieses Stücks, ist Anfang und Ende, führt in das Werk ein, ist aber auch die Synthese all dessen, was ich dabei gelernt habe.“In a Dark and Distant YearTS: „Wir hielten es für wichtig festzustellen, wer ich war, bevor ich Julie traf – um den Funken darzustellen, als dieses Mädchen in meiner Geschichte auftaucht. Dies bereitet auch den Moment im dritten Satz vor, ab dem sie für mich einfach mein Zuhause bedeutet. Die Bilder in diesem Satz sind alle sehr persönlich. Das Wort ‚foam‘ – ‚Schaum‘ – ist eine Anspielung auf Erics Stück ‚A Boy and a Girl‘, das zu meinen absoluten Favoriten gehört. In fast jedem Satz gibt es einen Hinweis auf eine unserer vielen Kooperationen“.EW: „Tony wirft mir immer das zu, was ich Wassermelonen nenne – diese großen, schönen Geschenke an einen Komponisten. Er dagegen verwendet die Idee eines ‚Zauberstabes‘. Und so wandert die Musik von Tonart zu Tonart, während der gesamte erste Satz statisch ist und sich einfach nicht von c-Moll bewegt.“HomeTS: „Diese Bewegung erinnert an einen faulen Sonntagnachmittag, als ich mit Julie auf dem Bett lag. Das goldene Sonnenlicht blinzelt durch das Fenster und man kann die Staubmilben in der Luft sehen. Es gibt darin auch eine Art Regentag mit all seinen Qualitäten – eine kuschelige, warme Decke wie eine Umarmung.“EW: „Ich erinnere mich, dass Tony mir sagte, ich müsse diesen Satz aus meiner eigenen Erfahrung heraus schreiben. Er ist das Ergebnis meiner Liebe zu meiner Frau, die ich erst drei Jahre zuvor kennengelernt hatte. Das meiste musikalische Material hier stammt aus einem kleinen Klavierstück, das ich für sie geschrieben habe, damit sie es abends hören konnte.“Magnetic PoetryTS: „Jemand hatte uns eines dieser Poesie-Sets in Form von Kühlschrankmagneten geschenkt, und jedes Mal, wenn einer von uns vorbeikam, fügten wir ein Wort hinzu oder bewegten Dinge und schrieben kleine Gedichte füreinander. Eines Tages öffnete ich Julies Tagebücher – ich hatte sie seit ihrem Tod nicht mehr angerührt. Und ich fand auf einer Seite zwei oder drei dieser magnetischen Gedichte, die sie geschrieben hatte. Damals versuchten wir, ein Kind zu bekommen, und sie war untröstlich darüber, dass es sich als ziemlich schwierig herausstellte. Aber zur gleichen Zeit versuchte Julie die Erfahrung zu beschreiben, als sie auf dem Bett lag und das Licht hineinschien.“ EW: „Hier erscheinen die beiden Akkorde, die im ganzen Stück verwendet werden, in einer Art Schaukelbewegung – für mich klingt das wie ein körniger 8-Millimeter-Film eines Strandtages. Nur eine Erinnerung an eine Erinnerung einer Erinnerung. Jedes Mal, wenn ich dieses Gedicht lese, kann ich nicht glauben, wie ergreifend und zart es ist.“Whenever There is BirthEW: „Dieser Instrumentalsatz stellt für mich die Geburt von Tonys und Julies erstem Sohn Thomas dar. Ich hatte dieses sehr klare Bild im Kopf: Haut auf Haut, ein Baby, das gerade geboren wurde – und dann ein blühender Mittelteil, in dem ich dieselben Akkorde wie im achten Satz, ‚Delicious Times‘, verarbeite.“I’m AfraidTS: „Julie lag mit unserem ersten Kind in den Wehen. Im Kreißsaal machten sie in letzter Minute einen Ultraschall, weil sie elf Tage zu spät kam. Sie fanden einen Tumor. Ich weiß nicht, wie schwer es für Ärzte ist, den Menschen zu sagen, dass sie Krebs haben. Ich weiß, wie schwer es ist, das zu hören. Und der Satz fängt diese Verwirrung und diese medizinische Terminologie ein, die auf einen zukommt.“EW: „Vor Jahren sagte mir jemand, dass in dem Moment, in dem du weißt, du hast Krebs, eine Uhr tickt. Du lachst mit deinen Kindern und merkst doch, dass die Zeit läuft. Julies Thema wird zu diesen rollenden, eindringlichen Terzen – dem Motor hinter der Musik. Man hört auch das Krebsthema durchschleichen: Eine kleine Terz prallt auf eine große Terz.“I Am HereEW: „Für mich ist dieser Satz Julie, die versucht zu begreifen, während Tony selbst mit der Diagnose umzugehen hat. Und dann gibt es einen Moment, in dem man Julies Thema hört und wie sie sich selbst aus diesem Moment heraushebt, den Staub abschüttelt. Und dann gehen wir direkt in den Satz mit ihren Kindern – so schlimm auch alles ist, sie muss ihre Schultern straffen und für die Kinder stark sein.“Delicious TimesTS: „Julie war eine tiefgläubige Person und begann, E-Mail-Updates an ihre Kirchengemeinde zu senden und die Menschen wissen zu lassen, wie es ihr ging. Doch dann begann die Gemeinde, diese E-Mails weiterzuleiten, und sie verbreiteten sich in der ganzen Welt. Diese hier wurde während ihres letzten Lebensjahres geschrieben, und so nähern sich die Dinge dem Ende.“EW: „Dies war bei weitem der schwierigste Text für mich – er ist so ehrlich und menschlich, so mutig. Ich habe versucht, ihn so einfach wie möglich zu gestalten. Ich musste mit der Musik zur Seite treten und die Worte ihre ganze Kraft und Schönheit entfalten lassen.“One Last BreathEW: „Dies war ein Gedicht, das ich geschrieben habe. Mir wurde klar, dass es einen Teil der Geschichte gibt, den ich erzählen wollte, und von dem ich einfach nicht dachte, dass Tony dazu in der Lage wäre. Es verbindet Julies letzte heroischen Momente mit der Zeit, in der sie wirklich verzweifelt. Tony ist der bescheidenste, eloquenteste, brillanteste Mann, den ich kenne, und konnte sich in all dem einfach nicht als der Held begreifen. Doch als sein Freund, der von draußen zusah, sah ich ihn definitiv als Held. Ich habe Zitate aus Stücken eingefügt, an denen wir gemeinsam gearbeitet haben: ‚dark and deep‘ stammt aus ‚Sleep‘, an dem wir im Jahr 2000 zusammengearbeitet hatten. ‚He steels himself, takes one last breath, and leaps‘ stammt aus ‚Leonardo Dreams of his Flying Machine‘ – einem Stück, das wir 2001 geschrieben haben. Die Musik hat eine verworrene Qualität und birgt ein Gefühl von archaischer Vorahnung.“Dear FriendsTS: „Dies war ein weiterer E-Mail-Blog von Julie. Sie glaubte wirklich daran, dass Gott sie durch ein Wunder heilen würde. Sie muss gewusst haben, dass es wirklich schlimm um sie stand – doch wegen ihres Glaubens konnten wir nicht darüber sprechen. Schlug ich vor, dass sie sich vielleicht von den Kindern verabschieden sollte, verweigerte ich damit Gott die Möglichkeit, sie heilen zu können. Es war alles sehr, sehr kompliziert.“EW: „Selbst in Julies letzten Momenten, bei ihrem letzten Atemzug, steht sie stark da. Mir war wirklich wichtig, dass die Musik das transportiert. Wenn sie dreimal sagt ‚Kämpfe mit mir‘, symbolisiert das eine bewegende Dringlichkeit.“You Rise, I FallTS: „Eric und ich haben mit diesem Satz begonnen. Im Nachhinein denke ich, dass es sehr klug war, zuerst an den dunkelsten Ort zu gehen. Der Rest des Prozesses konnte dann aus diesem Trog aufsteigen. Es fing mit der tiefsten Wunde an, damit ich mit dem Heilungsprozess beginnen konnte.“EW: „Mein einziger Instinkt war es, Tony an den Händen zu fassen und in die bodenlose Tiefe zu springen. Tony stellte mich einmal dem ‚Harmonic Choir‘ vor, der von David Hykes dirigiert wurde – die Mitglieder strebten es an, sich gemeinsam fallen zu lassen und sich einem Akkord zu verpflichten. Ich nutze den Effekt hier, um das Schmelzen zu veranschaulichen, wenn Tony fällt.“Child of WonderEW: „Für mich gibt es nichts Schöneres, als jemandem zu sagen, dass er jetzt nach Hause gehen darf. Am Ende schrieb ich dieses Gedicht, weil ich nicht wusste, wie ich Tony dazu bringen konnte, sich selbst zu vergeben. Wie schreibt man einen solchen Segen? Mit dem Schluss wollte ich andeuten, dass Trauer nicht einfach verschwindet, daher endet das Stück auf dem finalen C – dem Schleier selbst.“

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