The Miseducation of Lauryn Hill

The Miseducation of Lauryn Hill

Lauryn Hills erstes – und einziges – Studioalbum war 1998 ein epochales Ereignis: ein atemberaubend roher, tiefgründiger Blick in die spirituelle Landschaft nicht nur eines der größten Stars der Ära, sondern der Ära selbst. Jahrzehnte später gilt „The Miseducation of Lauryn Hill“ immer noch als wegweisend. Die übernatürlich talentierte Hill rappt mit der selbstbewussten Wildheit einer Frau, die ihre Kreativität völlig unter Kontrolle hat, und singt mit der gospelgetränkten Fülle des Soul. Es war ein Ausdruck innerer Tiefe in einer Zeit, in der Schwarze Frauen oft als eindimensionale Archetypen dargestellt wurden. Hill lieferte ihr Opus magnum über die Triumphe und Rückschläge des Lebens in einem solch einzigartigen Geist, mit einer solchen Aufrichtigkeit und Besonderheit, dass aus einem Album ein universelles Statement des Seins wurde. Ihre Entschlossenheit war so stark, dass immer wieder neue Generationen ein Album entdecken, dessen besondere Meisterleistung in Sachen Musikalität, Lyrics und Offenheit bis heute unübertroffen ist. „Miseducation“ entstand im Feuer der Emotionen. Nach sieben Jahren als Stimme des politisch engagierten und von der Kritik gefeierten Hip-Hop-Trios Fugees aus New Jersey – und nach einer langwierigen, turbulenten Beziehung mit ihrem Bandkollegen Wyclef Jean – machte sich Hill daran, eine Zeit großer Veränderungen in ihrem Leben zu verarbeiten. Dazu gehörte auch der langsame Zerfall der Gruppe, der sie seit der Highschool angehört hatte. Mit dem Trauma kam der Neubeginn: Hill ließ sich auch von den körperlichen und mentalen Veränderungen der Schwangerschaft und der Geburt von Zion, ihrem ersten Kind mit Rohan Marley, inspirieren und nutzte ihre Spiritualität als Leitfaden. An diesem emotionalen Scheideweg entstand eines der rohesten Alben aller Zeiten, ein bleibendes künstlerisches Leuchtfeuer für Musiker:innen aller Genres und ein Moment, in dem sich Hills einzigartiges Talent der ganzen Welt offenbarte. Der Eröffnungstrack von „The Miseducation of Lauryn Hill“, in dem eine Lehrerin eine Klassenliste aufruft, nur um festzustellen, dass Lauryn Hill nicht anwesend ist, spricht für die Grundidee des Albums: Diese Lektionen kann man nur durch gelebte Erfahrung lernen. Während sie sich durch schmerzhafte Abrechnungen mit ihrem Ex quälte (der damals noch als Jean verstanden wurde), definierte sie die Art und Weise neu, wie rauer, scharfzüngiger Rap und opulente R&B-Harmonien verschmelzen konnten. In dieser Zeit waren die beiden Genres praktisch vollständig voneinander getrennt. Selbst drei Jahre nach dem „All I Need“-Remix von Method Man und Mary J. Blige war Hardcore-Rap immer noch eine Domäne des grassierenden Sexismus, während R&B als weicher und weiblicher galt. „Miseducation“ stellte die Sichtweise einer jungen Frau mit all ihren Rebellionen und Verletzlichkeiten in den Mittelpunkt – in einem Terrain, das in den Hip-Hop-Charts von einer bestimmten Vision von Hypermaskulinität dominiert wurde. Gleichzeitig diente es als Türöffner zu einem Mainstream, der immer noch dazu neigte, die musikalische Qualität des Hip-Hop herabzusetzen. Das Album wurde zum Teil in Bob Marleys Haus in der Hope Road auf Jamaika aufgenommen – ein Erbe, das sich in Hills Idee für das Albumcover widerspiegelt, einer Reminiszenz an das Cover von The Wailers’ „Rastaman Vibration“. Die DNA dieser Songs jedoch und somit einer der Schlüssel zu ihrer Beständigkeit basiert auf einem klassischen Motown/Stax-Sound, der Hills makellose gesangliche Fähigkeiten zur Geltung bringt. Allein das vielschichtige „Doo Wop (That Thing)“ brachte ihr 1999 zwei ihrer fünf Grammys ein, eine Bestätigung für die Frische ihres Sounds und dafür, wie sehr ihre Musik den aufkommenden Feminismus der Hip-Hop-Generation zum Ausdruck brachte. Die Verletzlichkeit in den Singles von „Miseducation“ wird oft diskutiert, doch Hills Anliegen – und ihre Stärken – waren vielschichtig. Als ehemalige Geschichtsstudentin an der Columbia University beleuchtete Hill ihre Herkunft aus Newark, New Jersey, mit einem scharfen, subtilen soziopolitischen Blick in „Every Ghetto, Every City“ – auf dem Loris Holland, der Musikpfarrer der berühmten Brooklyn Pilgrim Church, am Clavinet zu hören ist. Sie philosophierte über das Aufwachsen in einer entrechteten Welt in „Everything Is Everything“ – dessen klassischer 70er-Jahre-Soul-Sound übrigens von einer Begleitband stammt, zu der ein damals noch unbekannter Pianist namens John Legend gehört. „The Miseducation of Lauryn Hill“ ist auch ein Beweis dafür, dass reine Absicht und kompromisslose emotionale Wahrheit ein Weg zur Befreiung sein können. Wie Hill in dem politisch aufgeladenen Koan „Everything Is Everything“ rappt: „My practice extending across the atlas/I begat this.“ („Mein Wirken erstreckt sich über den ganzen Atlas / ich habe das hier gezeugt.“) Sie war und ist ein einzigartiges Talent, das es nur einmal in einer Generation gibt und dessen Inspiration und Innovation über Jahrzehnte hinweg zu hören sind. Künstler:innen erarbeiten lange Diskografien in der Hoffnung auf ein schlüssiges Werk, das die Kultur verändert und seine:n Schöpfer:in ins Pantheon hebt; Lauryn Hill hat das mit einem einzigen Werk geschafft.

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