Roots

Roots

Im Jahr 2020, auf dem Höhepunkt der Black Lives Matter-Bewegung, entwickelte der an der Juilliard School ausgebildete Geiger Randall Goosby die Idee für sein Debütalbum. Die daraus resultierende LP, „Roots“, ist eine Würdigung Schwarzer Komponist:innen wie William Grant Still, Florence Price und Samuel Coleridge-Taylor sowie derer, die von der afroamerikanischen Kultur inspiriert wurden, darunter Gershwin und Dvořák. Ihr Werk ist zu einem großen Teil von der Stilistik sogenannter Spirituals geprägt. „Die Möglichkeit zu haben, in diese Musik einzutauchen, war ein ziemlich heilsamer Prozess“, sagt Goosby gegenüber Apple Music. „Ich habe darüber nachgedacht, mit welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen sich einige der Komponist:innen auf diesem Album in den 1940er- und 50er-Jahren, oder noch früher, konfrontiert sehen mussten. Es war für mich unvorstellbar, welche Hürden sie zu überwinden hatten.“Endlich wird die Welt der klassischen Musik auf ihr Erbe aufmerksam – eines, das viel zu lange unerforscht blieb und „Roots“ weist uns den Weg nach vorn. So finden sich auf dem Album nicht weniger als drei Weltpremieren allein von Florence Price. Als erste afroamerikanische Frau, deren Musik von einem großen Sinfonieorchester präsentiert wurde, schuf sie Werke, die Spirituals und die traditionelle klassische Form mit hypnotischem Charakter verbinden. Ebenfalls zu hören ist William Grant Still, ein Mann an der Spitze der Harlem Renaissance des frühen 20. Jahrhunderts, sowie Coleridge-Taylor Perkinson. Seine Grenzüberschreitungen führten ihn von Arrangements für Harry Belafonte zur Zusammenarbeit mit Igor Strawinsky, dem einflussreichen russischen Komponisten. Den Auftakt zu diesem wunderbaren Album bildet in ebenso unnachahmlicher Weise ein brillantes Duett für Violine und Cello des gefeierten Kontrabassisten Xavier Dubois Foley. Er schafft es grandios, Stile wie Jazz, Bluegrass, Hip-Hop, Bach und viele mehr miteinzubeziehen. „Ich wollte das Leben und die Erfahrungen dieser Komponist:innen zelebrieren – und natürlich ihre Musik“, sagt Goosby. „Aber ich wollte ihnen auch eine Hommage erweisen, weil sie für mich diejenigen sind, die mir und anderen jungen farbigen Künstler:innen den Weg geebnet haben. Seitdem können sie sich frei und ermutigt fühlen, eine Karriere oder generell ein Leben in der klassischen Musik zu verfolgen. Dies ist nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein, aber auch ein Krug, der sich langsam, aber sicher mit verschiedenen Erfahrungen, Perspektiven und Traditionen füllt. Hoffentlich können wir uns alle mit der Zeit ein bisschen mehr schätzen und lieben lernen.“ Im Folgenden führt uns Goosby durch jedes Werk seines aufregenden Debüts.„Shelter Island“Ich empfand es als sehr wichtig, eine Stimme aus der Gegenwart auf das Album zu holen. Xavier [Dubois Foley] und ich sind seit über einem Jahrzehnt befreundet. Wir trafen uns zum ersten Mal beim Sphinx-Wettbewerb, der darauf ausgerichtet ist, die Vielfalt in der klassischen Musik zu fördern und zu feiern. Wenig später trafen wir uns beim Perlman Music Program, das auf Shelter Island stattfindet, daher auch der Name des Stücks. Hier finden sich Einflüsse und Inspirationen aus allen möglichen Richtungen. Es ist ein wirklich aufregendes und tolles Werk, um das Album damit zu beginnen.„Blue/s Forms“Über den Komponisten Coleridge-Taylor Perkinson wissen die meisten Menschen nicht viel, da er nicht in die Schublade eines „klassischen“ Komponisten passt. Er hat ein bisschen von allem gemacht, von Ballettmusik bis hin zu Musik für Film und Fernsehen. Der [klassische Geiger] Sanford Allen war ein enger Freund von ihm und ich hatte die Ehre, mit Mr. Allen über Zoom an einigen dieser Stücke zu arbeiten. Es war faszinierend für mich, etwas von seiner Perspektive zu erfahren und dabei zu erkennen, wie wichtig der Rhythmus dieser Musik ist. Der Blues ist im Grunde einer der frühen Ausgangspunkte für das, was wir heute als amerikanische Musik verstehen. In allen Genres gibt es meines Erachtens Beweise dafür, dass populäre Musik oftmals das Ergebnis eines Durchsickereffekts ist, der mit Schwarzer Musik in Form von Spirituals und schließlich Blues und Jazz begann.„Porgy and Bess“Obwohl er kein Schwarzer war, wird Gershwin oft mit Schwarzer amerikanischer Musik in Verbindung gebracht. Denn für seine Oper „Porgy and Bess“ wurde er unmittelbar von Schwarzer Musik beeinflusst und inspiriert. Nachdem er die Oper fertiggestellt und ihre Aufführung gesehen hatte, bestanden Gershwin und sein Bruder Ira darauf, dass sie von Schwarzen Sänger:innen aufgeführt werden sollte – also von den Menschen, über die und für die sie geschrieben wurde. Dieses Maß an Respekt und Bewunderung für die Musik und für die Kultur ist sehr eindrucksvoll. Der Verfasser dieser Stücke war der große Geiger Jascha Heifetz – eines meiner großen Idole und Inspirationen, als ich noch ein junger Musiker war.„Suite for Violin and Piano“Der Spitzname dieses Stücks ist „Mother and Child“, so heißt auch der Mittelsatz. Der Fokus liegt deswegen so stark darauf, weil meine Mutter in meinem Leben und meiner Entwicklung eine große Rolle gespielt hat. Sie war in den letzten 20 Jahren so gut wie immer an meiner Seite, hat entweder Notizen gemacht oder eine Unterrichtsstunde auf Video aufgenommen. Alle Sätze sind musikalische Darstellungen des Kunstwerks eines Künstlers, der Teil der Harlem Renaissance war – es war der künstlerische Aufbruch der Schwarzen Kultur in den 1920er-Jahren. Abgesehen von der Bedeutung des mittleren Satzes für mich persönlichen ist diese Suite also auch eine echte Reflexion der Zeit und des Ortes, an dem [der Komponist dieses Werks] William Grant Still arbeitete und lebte.„Adoration“ „Adoration“ ist ein ganz besonderes Stück für mich. Es ist unglaubliche Musik und ich denke, jeder Mensch, der ein Herz hat, wird sie ebenfalls umwerfend finden. Hier gibt es keinen Schnickschnack, keine Extras – einfach nur wunderschöne Musik. Price hat dieses Stück ursprünglich für die Orgel geschrieben, dabei ist es auf eine natürliche Art und Weise gesungen, die ich sehr mag. Kurz: Musik, bei der man sich gut fühlt.„Fantasie No. 1 in G Minor“Die „G Minor Fantasie“ beginnt mit einer unglaublich dramatischen, virtuosen und rezitativen Art, wobei das Klavier kleine Kommentare mit Akkorden einbringt. Die Eröffnung klingt wie: „Hey, schau her! Hier bin ich. Das ist es, was ich tun kann.“ Danach gehen wir plötzlich in diesen rhythmischen, tanzbaren Mittelteil über. Und plötzlich sind wir wieder bei einem spirituellen Volkslied mit einer sehr vokalen Textur. Der Pianist auf dem Album, Zhu Wang, und ich hatten eine Menge Spaß dabei, so hin und her zu springen.„Fantasie No. 2 in F-Sharp Minor“In der „Second Fantasie“ bezieht sich Price auf ein bestimmtes Lied, ein Spiritual, das ihre Großmutter an sie weitergegeben hat und „I'm Working on My Building“ heißt. Das Besondere an diesem Stück sind aus meiner Sicht die Freiheit und der persönliche Ausdruck dieser Melodie. Auch ein Gespür für den spätromantischen Orchesterstil und die Tradition kommt hier zum Ausdruck – an manchen Stellen denke ich sogar an Richard Strauss oder Tschaikowsky. Und dann sind wir sofort an dieser fast schon niedlichen, irgendwie schwungvollen Stelle mit ihrem Wechselspiel aus Violine und Klavier. Es ist also ein sehr abwechslungsreiches Werk.„Deep River (Arr. Maud Powell for Violin and Piano)“„Deep River“ ist wohl eines der am häufigsten arrangierten Spirituals und Coleridge-Taylor arrangierte es für das Klavier. Dieses Arrangement für Violine und Klavier stammt jedoch von der profilierten Geigerin Maud Powell. Sie lebte in den frühen 1900er-Jahren und wurde für ihre Bewunderung und Unterstützung afroamerikanischer Komponist:innen bekannt. Sie stellte eine ganze Sammlung von Bearbeitungen und Arrangements Schwarzer Komponist:innen zusammen. Es handelte sich dabei um Menschen, die sie aus ihrer Zeit kannte, die es aber nicht unbedingt in die Geschichtsbücher geschafft haben.„Violin Sonatina in G Major, Op. 100, B. 120“In diesem Stück steckt jede Menge Leben. Es ist nicht Dvořáks komplexeste oder komplizierteste Musik – er schrieb es, um es von seinen eigenen Kindern spielen zu lassen. Eines von ihnen an der Geige, während das andere am Klavier war. Damit hat das Werk offenbar viel von dieser kindlichen, jugendlichen Energie. In den 1890er-Jahren war Dvořák Direktor des New Yorker National Conservatory of Music of America, das als einzige Institution seiner Art Schwarze und weibliche Studenten aufnahm. Dabei hatte Dvořák die einmalige Gelegenheit, in die Musik Schwarzer Traditionen sowie in die Volksmelodien der amerikanischen Ureinwohner:innen einzutauchen, die man im ganzen Stück und ganz besonders im zweiten Satz hören kann.

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