Wir bauten uns Amerika

Wir bauten uns Amerika

Die beste Musik entsteht dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Das kann das bayerische Weilheim sein, von wo aus The Notwist in den 90er-Jahren deutsche Rockmusik prägten. Das kann Bietigheim-Bissingen in der Nähe von Stuttgart sein, Heimat von Hip-Hop-Größen wie RIN oder Bausa. Aktuell ist es die Gegend um Ravensburg, eine Stadt im südlichen Oberschwaben, nicht weit weg vom Bodensee. „Provinz“ hat sich die Gruppe genannt, die von hier stammt. Ihr Debütalbum trägt den Titel „Wir bauten uns Amerika“ und erzählt zu warmen Indiepop-Klängen von dem, was passiert, wenn die Jugend vorbei ist, das Erwachsenenalter aber noch nicht so recht begonnen hat. Es berichtet von Liebe und Freundschaft, von Autofahrten über die Dörfer und Abenden, an denen man eigentlich viel lieber alleine wäre. Ein guter Teil der Songs – etwa „Diego Maradona“ – geht nach vorne, feiert das Leben. Andere, wie „Wenn die Party vorbei ist“ oder „Augen sind rot“, umweht eine bittersüße Melancholie. Wäre dieses Album ein Film, würde man das „Coming of Age“ nennen.Dass Sänger und Gitarrist Vincent Waizenegger, Bassist Moritz Bösing, Keyboarder Robin Schmid und Drummer Leon Sennewald heute diese Lieder singen, hat familiäre Gründe. Die drei Erstgenannten sind Cousins. „Schon unsere Väter hatten eine gemeinsame Band. Deshalb war es auch für uns Pflicht, ein Instrument zu lernen“, sagt Vincent. „Und irgendwann, wenn man so heranwächst, merkt man, dass das ja Spaß macht.“ Vincent und Robin fingen an, Songs zu schreiben. Dass es im Elternhaus des dritten Cousins Moritz einen Proberaum gab, war da durchaus praktisch. Ende 2017 stieß schließlich Leon dazu, der einzige aus der Band, der nicht mit den anderen verwandt ist. Die Provinz-Besetzung stand.Im Proberaum hingen vor allem Beatles-Poster, Moritz’ Vater war großer Fan. Vincent wuchs etwas anders auf, denn im Hause Waizenegger stand man auch auf Einheimisches. „Die Ärzte und Die Toten Hosen liefen bei uns, auch Herbert Grönemeyer. Mit seinen Songs habe ich entdeckt, dass die deutsche Sprache auch in der Popmusik funktionieren kann. Als ich 16 war, kamen Marteria und Casper dazu.“Man hört all das in Vincents Gesang. Traditionslinien, die bis zu erwähnten Größen zurückreichen, verschmelzen mit griffigen Refrains und einer Lust an der Erzählung, die durchaus auch eine Hip-Hop-Grundierung besitzt. Der Sound, den die Band dazu spielt, wandelte sich mit den Jahren. Wo auf der im vergangenen Jahr erschienenen EP „Reicht dir das“ vor allem britischer Folkrock der Mumford & Sons-Schule durchschien, ist der Klang der Band nun ein ganzes Stück satter. Das liegt sicher auch an Tim Tautorat: Der Produzent, der in der Vergangenheit mit Künstlern wie AnnenMayKantereit und Faber arbeitete, nahm mit Provinz in den Berliner Hansa Studios auf.Für die Band ein großer Schritt. Zunächst einmal, weil die Aufenthalte in Berlin Jugendträume wahr werden ließen. „Auf dem Land fühlt man sich mit seinen Freunden oft so ein bisschen gemeinsam einsam und entwickelt Sehnsucht nach der großen Stadt. Plötzlich da zu sein – damit muss man erst einmal klarkommen!“ Aber auch, weil das Studio, in dem „Wir bauten uns Amerika“ entstand, eines der berühmtesten der Welt ist. „Ich fand’s übertrieben geil. Man singt da in ein Mikrofon – und daneben hängt ein Bild von David Bowie, wie er in dasselbe Mikrofon singt“, schwärmt Vincent. Mag sein, dass die beste Musik auf dem Land entsteht. Ein bisschen Großstadtzauber schadet anscheinend aber nicht.

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