Voices

Voices

Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, die die Vereinten Nationen im Jahr 1948 verabschiedet haben, stellt die angeborene Menschenwürde fest und proklamiert das Recht auf Freiheit und Unversehrtheit. Auch wenn dies bis heute ein weit entferntes Ziel bleibt, sind dies Werte, die weiterhin inspirieren und anleiten. ‚Voices’ von Max Richter ist eine beeindruckende musikalische Reise durch die Grundsätze der Erklärung, die Passagen des Dokuments mit von ihr inspirierten Klangwelten kombiniert. Der Text taucht erstmals in Form einer Aufnahme von einer der Autorinnen auf – Eleanor Roosevelt – und wird dann von Schauspielerin Kiki Layne vorgetragen, mit Fragmenten aus mehr als 70 Sprachen, deren Stimmen über Social Media gesammelt wurden. Die Entstehung des Projekts nahm zehn Jahre in Anspruch. „Den ursprünglichen Impuls für ‚Voices’ lieferten die Ereignisse rund um Guantánamo – als herauskam, wie Menschen dort behandelt wurden“, erzählt Max Richter gegenüber Apple Music. „In dem Moment hatte ich das Gefühl, dass die Welt in einer qualitativ neuen Art auf Abwege geraten ist, und wollte ein Stück Musik kreieren, um darüber zu reflektieren und um es zu verarbeiten.“Die Erklärung zeichnet sich durch eine Struktur und durch Wiederholungen aus, die Richter faszinierten und dem Album seinen Rahmen gaben. „Es ist sehr clever, wie das Wort ‚everyone’ immer wieder auftaucht“, sagt er. „Es hat etwas Rituelles – es ist sehr stark.“ Den Kern von ‚Voices’ bildet ein Streichorchester, dessen Besetzung auf den Kopf gestellt wurde. „Es besteht vor allem aus Bässen und Celli – dunkel klingenden Instrumenten“, so Richter. „Aber ich wollte Musik machen, in der Hoffnung und Strahlkraft steckt. Also habe ich mir die Aufgabe gestellt, mit dunklem Material leuchtende Musik zu kreieren. Es ist wie Alchemie – der Versuch, aus einem einfachen Metall Gold zu machen.“ Ein „Voiceless Mix“ jedes Stückes ermöglicht es dem Publikum, Richters Komposition auch ohne Erzählung zu hören. „Das bietet die Gelegenheit, über alles nachzudenken, als ob man eine Landschaft wieder besucht, aber aus einer anderen Richtung kommt.“ Hier führt Richter uns Stück für Stück durch ‚Voices’.All Human Beings„‚All Human Beings‘ bereitet den Boden. Es beginnt mit dem Summen eines einzigen Tons, das dich dazu bringt, zuzuhören. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit den Texten schenken, und ich will nicht, dass die Musik dazwischen kommt. Deshalb ist sie sehr einfach und auf einen Ton reduziert, während wir Eleanor Roosevelt und Kiki Layne lesen hören. Dann steigert sich langsam ihre Dichte und Komplexität. Wenn die Lesungen vorbei sind, blüht die Musik auf und wird zu etwas Eigenständigem, statt nur Begleitung zu sein. Ich habe viel mit dem Chor Tenebrae gearbeitet. Er ist auf Renaissance-Musik spezialisiert und ich liebe diesen reinen Klang.“Origins„Ein wichtiger Aspekt dieses Projekts ist das Konzept eines Musikstücks als ein Ort, an dem man über die Welt, die wir geschaffen haben, und die Welt, die wir erschaffen wollen, nachdenken kann. Also ist der erste Teil von ‚Origins’ genau das: eine Gelegenheit, die gesprochenen Texte, die wir gerade gehört haben, und das, was wir gefühlt haben, zu reflektieren. ‚Origins’ beginnt sehr simpel, als Solo-Klavierstück, und wird mithilfe eines Cellos mit der Zeit melodischer.“Journey Piece„‚Journey Piece‘ ist größtenteils chorisch – ein eher kurzes Stück. Aber es dreht sich um das Konzept der Vertreibung. In unserem bequemen westlichen Leben betrachten wir das Reisen als etwas, dass man für die Arbeit oder zum Spaß tut. Aber viele Menschen sind gegen ihren Willen unterwegs. Diese Texte reflektieren das, und ‚Journey Piece‘ ist ein Ort, um darüber nachzudenken.Chorale„‚Chorale‘ wurde fürs Orchester geschrieben, mit Sopran und Violinen-Soli. Der Titel kommt von der zyklischen Natur des Materials und spiegelt die Strophenstruktur der Choräle von Johann Sebastian Bach. Im Verlauf werden die Musik und die Sopranstimme immer höher. Die Absicht ist, dass die Musik freundlicher wird, je länger sie spielt.“Hypocognition„‚Hypocognition‘ bedeutet, nicht in der Lage zu sein, etwas auszudrücken, weil du kein Wort dafür hast. Ich hielt das für eine interessante Idee. Und ich denke, es verweist auf die Unfähigkeit, sich in die Lage und den Blickwinkel von jemand anderem hineinzuversetzen. Das Stück ist hauptsächlich elektronisch und verhält sich dem Text gegenüber wie in einem Dialog. Der Text liefert in gewisser Weise die Daten oder die primäre Information. Und die Musik weckt die Emotionen. Also erhältst du Informationen und dann den Raum, um darüber nachzudenken.“Prelude 6„Ein kleines Klavierstück, das einfach scheint, es aber nicht ist. Und ich denke, dass das eine Metapher für unsere Situation ist: Wir alle kennen die Probleme, aber es ist nicht leicht, sie zu lösen. Die Komposition besteht aus zwei überlappenden Taktarten, weshalb sie etwas Beunruhigendes hat.“Murmuration„‚Murmuration‘ erkundet ebenfalls die Idee der Migration, des unfreiwilligen Umherziehens, und bewegt sich zwischen akustischer und elektronischer Musik. Die Musik ist überwiegend chorisch, was etwas Rituelles hat, aber es gibt viel Synthesizer- und Computersounds, die sozusagen das Fruchtwasser bilden, in dem die Musik existieren kann. Sie schwebt einfach in diesem Raum.“Cartography„‚Cartography‘ ist die Kunst, Karten anzufertigen, das Studium der Orte. Das Stück hat also ähnliche Themen wie ‚Murmuration’. Aber es ist ein sehr isoliertes Stück, umgeben von tiefer Stille. Auch dies ist eine Komposition, die nicht so simpel ist, wie sie klingt – sie ist unregelmäßig und repetitiv und einem Großteil meiner Klaviermusik sehr ähnlich.“Little Requiems„In diesem Text geht es um Mutterschaft und Kinder und die Notwendigkeit, ihnen Schutz zu bieten. Je schwächer jemand ist, umso weniger ist er oder sie in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Und natürlich sind Kinder überdurchschnittlich häufig Opfer der Ereignisse, sei es etwa Migration oder die Situation in Syrien. Es trifft vor allem die Schwachen. Die Musik hier besteht aus einem Streichorchester unter einem sich steigernden Sopransolo, was dir den mentalen Raum bietet, um darüber und über die Textauszüge nachzudenken.“Mercy„‚Mercy‘ wurde für eine Solo-Violine und Klavier geschrieben und war das erste Stück, das ich für das Album komponiert habe. Der Titel stammt aus der Rede von Portia in Shakespeares ‚Der Kaufmann von Venedig’: ‚Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang.‘ Es ist eine wunderbare Rede, in der es um Vergebung geht. Aber es geht auch um Rechte: ‚Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?‘ Die Botschaft ist, dass alle Menschen gleich sind. Auf ‚Voices’ sind immer wieder Anklänge an ‚Mercy’ zu hören. Das ganze Album ist also eine Art umgekehrtes Thema mit Variationen.“

Disc 1

Disc 2

Musikvideos

Wähle ein Land oder eine Region aus

Afrika, Naher Osten und Indien

Asien/Pazifik

Europa

Lateinamerika und Karibik

USA und Kanada