Stereo Mind Game

Stereo Mind Game

Als Daughter 2017 beschlossen, eine Pause einzulegen, ahnte die britische Indie-Band nicht, dass es sechs Jahre dauern würde, bis sie wieder ein Album herausbringen würde. Sie benötigten eine Auszeit vom Touren – und voneinander. Sie wollten schlicht den natürlichen Autopiloten stoppen, in den jede Band verfallen kann, und sich auf das Leben außerhalb von Daughter konzentrieren. So veröffentlichte Sängerin Elena Tonra 2018 ihr Solodebüt als Ex:Re. Dann, als sie soeben bereit waren, an gemeinsamen Ideen weiterzuarbeiten, schlug die Pandemie zu. Doch sie entdeckten einige Vorteile, wenn man meilenweit voneinander entfernt arbeitet: „Alles war durchdachter“, sagt Gitarrist und Produzent Igor Haefeli gegenüber Apple Music. „Wenn du einen Text schreibst, kannst du ihn durchsehen und deine Fehler korrigieren und mehr darüber nachdenken, anders als bei der Unmittelbarkeit, wenn wir zusammen in einem Raum sind.“ Da die Livemusik auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, hatten sie auch mehr Raum zum Experimentieren. „Bei früheren Alben gab es immer die Einschränkung: ‚Wie sollen wir das live spielen?‘, sagt Schlagzeuger Remi Aguilella. „[Dieses Mal] war es so: ‚Es wäre toll, all diese verschiedenen Bestandteile zu haben, also fügen wir sie hinzu und sehen, was passiert.‘“ Auf „Stereo Mind Game“ haben Daughter ihren ruhigen, atmosphärischen Indie-Folk-Sound erweitert und verfeinert. Es erwarten dich üppige Streicher- und Bläserarrangements, warme Backing Vocals und hallende Akustikgitarren, die mit verzerrten Stimmen, treibenden Drums und sogar elektronischem Vogelgezwitscher einhergehen. „Unser gemeinsames Ziel ist es, elektronische und akustische Elemente zusammenzubringen“, sagt Tonra. „Wie stark können die Live‑Sounds sein und wie strukturiert kann die Elektronik sein? Wir haben versucht, beides auf ein für uns neues Niveau zu heben.“ Für eine Band, die sich schon immer durch emotionale Intensität auszeichnete, gab es noch eine weitere neue Grenze: Akzeptanz. Tonra beschreibt, wie sie sich in eine Person verliebt, die für eine Beziehung zu weit weg wohnt, wie sie sich von geliebten Menschen trennt und wie sie mit ihren eigenen inneren Werten in Konflikt gerät. „Ich glaube, bei jedem unserer Alben geht es um persönliches Wachstum und Veränderung“, sagt Haefeli. „Aber bei diesem Werk ging es darum, ein wenig mehr Optimismus und emotionale Reife an den Tag zu legen.“ Lies weiter, wenn Daughter über ihr drittes Album sprechen, Track für Track. „Intro“ Igor Haefeli (IH): Es wirkt wie ein schräges Orchester mit verschiedenen Sounds und Streichern. Wir hatten nicht unbedingt die Idee, dass es der erste Track sein würde, aber es war immer stark mit „Be On Your Way“ verbunden. „Be On Your Way“ Elena Tonra (ET): Das war der erste Song, bei dem wir das Gefühl hatten: „Okay, wir machen also jetzt ein Album.“ Ich glaube, bis zu diesem Zeitpunkt haben wir an vielen Songs gearbeitet, aber das war der erste, bei dem ich dachte: „Das ist die Richtung, die Tür zum Album.“ Deshalb finde ich es gut, dass er der erste Song darauf ist. IH: Es ging darum, die Balance zu finden zwischen Leichtigkeit, Liebeslied und dem niederschmetternden Gefühl, der Person, in die man sich verliebt, nicht nahe zu sein. ET: Ich fühlte Hoffnung, aber auch Akzeptanz, als ich das schrieb. Es heißt „Ich weiß nicht, ob wir uns wiedersehen, aber ich hoffe, wir werden es.“ Bei früheren Platten hätte es geheißen: „Das ist mein Untergang!“ Das ist hier nicht so. „Party“ ET: Das ist eine Reflexion über den Moment, in dem ich beschlossen habe, keinen Alkohol mehr zu trinken. Den Song habe ich Jahre nach dieser Entscheidung geschrieben und blicke hier auf diese Zeit zurück. Es ist eine Hommage, um von dort aus weiterzumachen. Es ist ein ziemlich klassisch klingendes Arrangement mit Bass, Schlagzeug, Gitarren und Gesang. Es ist eher schwungvoll und ich denke, dass der Sound die Texte sehr gut kontrastiert. Wir versuchen auf dem ganzen Album, diese Dinge auszubalancieren. „Dandelion“ Remi Aguilella: Ungefähr ein Jahr, bevor ich diesen Song geschrieben habe, hatten meine Frau und ich ein Haus gekauft und es gab ungefähr eine Million Löwenzähne im Garten. Es fühlte sich an, als ob mein ganzes Leben aus Pusteblumen bestünde und es kein Entkommen gäbe. Eines Tages ging ich in mein Musikzimmer und schrieb den Anfang eines Songs, eine neue Idee, und beschloss einfach, ihn „Dandelion“ zu nennen. Wir schickten den Song an Elena und ich war total erstaunt, dass sie mit diesem zufälligen Wort fast den ganzen Text schreiben konnte. Ich dachte: „Wie ist das überhaupt möglich?“ Aber es war fantastisch, zuzusehen, und ich bin immer noch beeindruckt von der ganzen Sache. ET: Ich erzähle darüber, wie die Zeit vergeht und wie sich deine Umgebung verändert. Gleichzeitig fühlst du dich so, als wärst du mit deinem Handy (oder was auch immer du gerade in der Hand hältst) in der Zeit eingefroren, während alles um dich herum in Bewegung ist. „Neptune“ ET: Der Gesang in diesem Song ist der erste Take. Er hat diese Ursprünglichkeit in sich, die der Song brauchte. Es geht darum, in den Brunnen zu fallen, wie ich es immer nenne: Du bist in deinem eigenen Kopf, versuchst aber auch, nach außen hin gut dazustehen und gerätst in einen Konflikt zwischen dem, wie du nach außen wirkst, und dem, was du in deinem Inneren fühlst. Es ist hauptsächlich ein Selbstgespräch, aber ich rede auch über die Liebe. In der zweiten Hälfte kommen die Stimmen von Igor und Josephine Stephenson (Komponistin, Sängerin, Arrangeurin und Instrumentalistin) mit einer Wärme, wie wir sie von Freund:innen und Familie kennen. Sie holen dich aus diesen sehr schwierigen Momenten heraus. Es ist eine Art Hommage an sie. „Swim Back“ ET: Ich habe erst nach dem Schreiben des Albums bemerkt, dass es doch viel um Wasser geht. Das ist ganz interessant, denn es ist tatsächlich so, dass ich gar nicht schwimmen kann! Einerseits habe ich mit dem Meer zu kämpfen, aber gleichzeitig sehne ich mich auch danach. IH: Dieser Song ist ein wenig rockiger als die anderen; er hat etwas mehr Verzerrung und solche Dinge. Doch es passiert noch viel mehr: Wir haben all diese neu gesampelten Vocals von Elena. Wir versuchen, eine Traumwelt zu schaffen, die auch ein bisschen beunruhigend ist, weil sie eben nicht ganz real ist. Außerdem denke ich, dass Träume oft an der Grenze zum Albtraum stehen. Der Song fühlt sich also sehr seltsam und beunruhigend an. ET: Dein Streicherarrangement zerläuft fast wie tropfendes Wachs. „Junkmail“ ET: Die Methode, diesen Song zu schreiben, war anders als bei allen anderen. Er ist buchstäblich daraus entstanden, dass ich versucht habe, meine E-Mails zu löschen. Ich wollte aus jeder Junkmail oder Werbung – was auch immer in meinem Postfach ankam – ein Wort nehmen und es auf ein Stück Papier schreiben, damit mein Verstand alles miteinander verbinden konnte, um den Text zu schreiben. Das bedeutet mir tatsächlich viel, auch wenn es so aussieht, als wäre es völlig bedeutungslos. Es fühlte sich wie eine neue Art des Schreibens an, die es mir ermöglichte, Dinge zu sagen, zu denen ich noch keinen Zugang hatte. IH: Ich mag Remis Drums wirklich sehr und ich liebe die Kombination mit den eher maschinellen Schlagzeugelementen. Ich glaube, das ist der Song, der in gewisser Weise am genreunabhängigsten ist und sich gleichzeitig vielleicht am meisten von dem unterscheidet, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. „Future Lover“ ET: Das ist ein eher lustiges Stück und in gewisser Weise recht fröhlich, auch wenn das nicht fürs Thema des Songs gilt. Es geht um die Sehnsucht nach jemandem, aber es hat auch etwas Verspieltes – eine winzige Prise Humor. Der Song ist schon sehr alt und der letzte, den wir fertiggestellt haben, er hat also ein sehr langes Leben hinter sich. Es geht darum, dass man jemanden vermisst und das Gefühl hat, dass er oder sie anwesend ist – „sweet nothings from the ghost in the room“ („Süße Botschaften vom Geist im Raum“). Das ist immer noch sehr liebevoll gegenüber der Person, die nicht da ist, und somit nicht immer schmerzhaft. „(Missed Calls)“ IH: Das ist für uns das Zwischenspiel auf dem Album. Hier kommen echte Sprachnotizen vor, von einem:einer Freund:in von Elena und auch von ihrer Nichte und ihrem Neffen, die in einem anderen Song auftauchen. Das ist zum Teil Thema des Albums, diese Verbundenheit aus der Ferne – als Folge der Pandemie, aber auch in Bezug auf Menschen, die weggezogen sind, die in verschiedenen Ländern leben, aber sich immer noch in gewisser Weise verbunden fühlen. Aber es ist nicht dasselbe, wie zusammen in einem Raum zu sein. In der Produktion werden Sounds manipuliert und Streicher verwendet, um ein Gefühl von Traum oder einer Zwischenwelt zu erzeugen. Durch die Stimmen werden sie schließlich auch mit der Realität und der Erinnerung verbunden. „Isolation“ ET: Das ist in gewisser Weise das Gegenteil von „Be On Your Way“, denn im Gegensatz zur Ruhe von „Be On Your Way“ („Mach dich auf den Weg“) hinterlässt die Distanz ein Gefühl der Bedrückung und Leere. Das hat definitiv eine gewisse Schwere. Doch am Ende spürt man: „Ich werde mich zusammenreißen, ich werde darüber hinwegkommen.“ Der Gesang oder das Thema verfällt trotzdem nie in totale Untergangsstimmung oder Negativität. Der Song ist sehr minimalistisch, und ich liebe das Ende, wo diese elektronischen Verzerrungen einsetzen und wie Vogelgezwitscher klingen – keine Ahnung, wie Igor das gemacht hat, aber es ist genial. „To Rage“ IH: Es ist ein ruhiger Song über Wut. Es war die Herausforderung, einen Großteil des Liedes bis zu dem sehr emotionalen Teil mit Zurückhaltung vorzugehen. Er ist sowohl musikalisch als auch textlich etwas atmosphärischer als einige der anderen Songs – aber immer noch mit treibenden Rhythmen, einem tollen Drumbeat von Remi und einem großartigen Basspart von Elena. Wir wollten, dass der große Teil mit den Streichern und den Bläsern und allen, die dazukommen, laut und emotional ist – die Erlösung von all dieser meditativen Stimmung. „Wish I Could Cross the Sea“ IH: Die Art und Weise, wie sich die Celli und möglicherweise auch die Klavierschleife am Anfang des Liedes bewegen, fühlt sich wie das Meer an. Ich liebe es, im Wasser zu sein – die meiste Zeit fühlt sich Musik für mich wie Wasser an. Mit den Streichern wollte ich am Ende eine große Umarmung erzeugen, um die Liebe darzustellen, die man für seine Familie empfindet. Lustigerweise wurde dieser Song lange vor der Pandemie geschrieben, was wiederum ein Beispiel dafür ist, dass viele dieser Lieder in vielen verschiedenen Situationen von Bedeutung sein können.

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