Punisher

Punisher

Falls es auf Phoebe Bridgers zweitem Soloalbum ein wiederkehrendes Thema gibt, dann ist es „die Idee, mit persönlichen Problemen zu kämpfen, während die Welt in Aufruhr ist – wie ein Tagebuch über deinen Schwarm während der Apokalypse“, erzählt die Singer-Songwriterin im Interview mit Apple Music. „Ich quäle mich fünf Tage lang wegen eines klärenden Gesprächs im Freundeskreis, während viel größere Dinge abgehen. Es fühlt sich einfach dämlich an, als würde man sich darin suhlen. Aber meine tiefergehenden Gedanken drehen sich um mein Privatleben.“ Bridgers nahm „Punisher“ auf, als sie mal nicht auf Tour war – sei es mit ihrem 2017er-Album „Stranger in the Alps“ oder für gemeinsame Releases mit Lucy Dacus und Julien Baker (boygenius) im Jahr 2018 oder Conor Oberst (Better Oblivion Community Center) im Jahr 2019. Das Album vereint Folk und Bedroom-Pop, der tröstlich und unheimlich zugleich ist, Zufluchtsort und Fiebertraum. „Manchmal werde ich gefragt: ‚Siehst du dich als L.A.-Songwriterin?‘ Oder: ‚Siehst du dich als queere Songwriterin?‘ Und ich sage: ‚Nein, ich bin, wer ich bin‘“, so die Musikerin aus dem kalifornischen Pasadena. „Was passiert, das passiert. Natürlich fließen jeder Teil meiner Persönlichkeit und der Welt in meine Musik ein. Aber ich nehme mir nichts Bestimmtes vor. Ich blicke einfach zurück und denke: ‚Oh, das ist mir also durch den Kopf gegangen.‘“ Hier stellt uns Bridgers jeden Song ihres Albums näher vor.DVD Menu„Dieser Song verweist auf das letzte Lied des Albums – er spiegelt die Melodie ganz am Ende. Und er enthält ein Sample des letzten Stückes meiner ersten LP ‚You Missed My Heart‘ – die komische Stimme, die du so halb hören kannst. Es fühlte sich einfach rund an, das Album so einzuleiten. Außerdem habe ich viel Grouper gehört. Es gibt auch eine Note in diesem Song: Als ich Rob Moose, der die Streichinstrumente auf dem Album spielt, aufgefordert habe, sie zu spielen, haben mich alle angesehen, als sei ich verrückt. Alle meinten: ‚Wovon verdammt noch mal redest du?‘ Und ich finde, das ist das Beängstigendste daran. Ich mag Musik, die Angst macht.“Garden Song„Hier geht es vor allem um Träume und – um es sehr L.A.-mäßig auszudrücken – Manifestation. Der Song handelt davon, dass alle guten Gedanken, die du hast, wahr werden, und die ganzen beschissenen Dinge, die du denkst, auch. Wenn du die ganze Zeit vor etwas Angst hast, wirst du nach einem Beweis suchen, dass es passiert ist oder passieren wird. Und wenn du eine unglückliche Person bist, die denkt, dass gute Menschen früh sterben und böse Unternehmen alles beherrschen, findest du genug Beweise in der Welt, dass dem so ist. Aber wenn du jemand bist, der glaubt, dass gute Menschen erstaunliche Dinge leisten, egal wie klein, und dass inmitten der Dunkelheit Schönheit zu finden ist, wirst du auch dafür Belege finden. Und du wirst den düsteren Kram ignorieren oder sehen, dass er deine Sicht auf die Welt nicht großartig beeinflusst. Es geht darum, dunkle, böse, mörderische Gedanken zu bekämpfen und das Gefühl zu haben: Wenn ich etwas wirklich möchte, wird es passieren oder auf eine total seltsame Art und ganz anders wahr werden, als ich es erwartet hatte.“Kyoto„Dieser Song handelt davon, auf Tour zu sein und es zu hassen und dann zu Hause zu sein und es auch zu hassen. Ich möchte einfach immer dort sein, wo ich nicht bin – was, glaube ich, kein sehr origineller Gedanke ist. Aber es ist wahr. Mit boygenius nahmen wir einen Nachtflug, um bei einer Late-Night-Show im Fernsehen aufzutreten. Das klingt glamourös, aber in Wirklichkeit war es ein Gehetze, um dann total nervös stundenlang im Backstage-Bereich zu warten und sich mit fremden Leuten zu unterhalten. Ich weiß noch, dass ich dachte: ‚Das hier ist gleichzeitig wundervoll und schrecklich. Ich bin mit meinen Freundinnen hier, aber uns allen geht es schlecht. Wir haben so ein Glück und werden so verwöhnt, fühlen uns aber gleichzeitig mies, darüber zu jammern, wie müde wir sind.‘ Ich vermisse das Leben, über das ich mich beschwert habe – ich glaube, viele Menschen kennen das Gefühl. Ich hoffe, die Partys sind gut, wenn dieser Scheiß [die Pandemie] vorbei ist. Ich hoffe, die Menschen haben eine neue Wertschätzung für Dinge wie menschliche Nähe. Ich werde sie definitiv haben, fürs Touren.“Punisher „Ich weiß nicht einmal, womit ich diesen Song vergleichen könnte. Was meine Art des Songwritings angeht, habe ich das Gefühl, dass ich in diesem Fall früher mit dem Schreiben aufgehört habe, als ich es normalerweise tue. In der Regel überarbeite ich Stücke fünfmal und bei diesem war es einfach: ‚Okay. Das hier ist ein simpler Tribute-Song.‘ Es geht teilweise um meinen Stadtbezirk [Silver Lake in Los Angeles] und teilweise um Depression, aber vor allem darum, Elliott Smith zu stalken und Angst zu haben, ein ‚Punisher‘ zu sein – dass die Augen meiner Helden glasig werden, während ich sie zutexte. Sagen wir, du bist zu Thanksgiving bei der Familie deiner Ehefrau und sie hat eine ältere Verwandte, die Impfgegnerin ist oder gerade einen Artikel mit einer Verschwörungstheorie gelesen hat. Und obwohl sie nett ist, redet sie auf dich ein und merkt nicht, dass deine Augen glasig geworden sind und du versuchst zu entkommen: Das ist ein ‚Punisher‘. Die schlimmste Form, in der es vorkommt, ist mit einem lieben Fan – jemandem, der wirklich versucht, nett zu sein und dessen Hände zittern, aber der nicht realisiert, dass er vor deinem Bus steht und du ins Bett gehen willst. Und sie sprechen mit dir und dir ist klar, dass deine Reaktion ihnen wirklich viel bedeutet, deshalb bemühst du dich, für sie da zu sein. Und ich habe Angst, zu einer solchen Person zu werden, wenn ich mit jemandem wie Patti Smith abhänge. Ich weiß, dass das in der Vergangenheit so war, und ich vermute, würde Elliott noch leben, hätte ich ihn 1000-prozentig getroffen – vor allem, weil wir in derselben Nachbarschaft gewohnt hätten. Und ich hätte keine Ahnung gehabt, wovon ich rede, während ich ihn in der Silverlake Lounge bedrängt hätte.“Halloween„Ich habe dieses Stück mit meinem Freund Christian Lee Hutson begonnen. Es war tatsächlich eines der ersten Male, dass wir zusammen abhingen. Wir haben ewig gequatscht und diese Melodie, die ich sehr liebte, quasi ‚hingeschissen‘, während wir fünf Stunden zusammen verbrachten und zehn Minuten davon auf Musik verwendeten. Es geht um eine tote Beziehung, aber es gibt kein triumphales Ende. Du bist einfach gelangweilt und traurig und willst kein Drama, und jeden Tag wachst du mit dem Wunsch auf, dass alles normal ist, aber es ist einfach nicht so dolle. Christian lebt in der Nachbarschaft des Children’s Hospital. Als wir also den Song schrieben, hörte man ständig Krankenwagen. Das war eine deprimierende Kulisse und hat sich im Song niedergeschlagen. Die andere Stimme darin ist die von Conor Oberst. Ich habe mir Stress mit dem Text gemacht und war auf der Suche nach einer letzten Strophe und er meinte: ‚Du redest doch immer über den ermordeten Dodgers-Fan. Darüber solltest du schreiben.‘ Und ich so: ‚Jesus Christus. Okay.‘ Das Album mit Better Oblivion Community Center war eine sehr gute Lernerfahrung für mich, und nach der Hälfte des Schreibens und Aufnehmens war ich sehr entspannt. Nachdem wir ein ganzes verdammtes Album fertiggestellt hatten, hatte ich das Gefühl, dass ich Conor Oberst eine furchtbare Idee zeigen konnte, ohne dass es mir peinlich war. Ich wusste, er würde mir einfach helfen. Dasselbe gilt für boygenius: Wenn du mit neuen Leuten zusammenarbeitest, bist du am Anfang total nervös, und wenn du fertig bist, denkst du: ‚Verdammt, es wäre so einfach, das zu wiederholen.‘ Deine beste Show ist die letzte Show der Tour.“Chinese Satellite „Ich habe keinen Glauben – darum geht es hier. Mein Freund Harry hat es mal perfekt ausgedrückt: ‚Mann, manchmal wünschte ich einfach, ich könnte den Sprung zu Jesus schaffen.‘ Aber ich bekomme es nicht hin. Ich meine, ich glaube definitiv an komische Dinge, die aus dem Nichts kommen. Ich wurde nicht religiös erzogen. Ich mache Yoga und so. Ich finde Atmen wichtig. Aber das ist schon so ziemlich alles. Ich würde gern an Geister und Außerirdische glauben, aber ich habe da meine Zweifel. Ich liebe Wissenschaft. Ich denke, mit Wissenschaft kommst du noch am nächsten an all das heran. Wenn ich ehrlich bin, handelt dieser Song davon, elf Jahre alt zu werden und keinen Brief aus Hogwarts zu bekommen und zu realisieren, dass mich niemand von meinem Leben erlösen wird, mich niemand wecken und sagen wird: ‚Hey, war nur ein Scherz. Tatsächlich ist das Leben viel aufregender als das hier und du bist etwas Besonderes.‘ Nein, ich werde immer so sein, wie ich bin. Insgeheim warte ich immer noch auf diesen Brief, was auch im Lied vorkommt, wo ich möchte, dass mich jemand nachts wachrüttelt und sagt: ‚Komm mit mir. Es ist in Wirklichkeit anders, als du gedacht hast.‘ Das wäre wunderbar.“Moon Song„Es kommt mir vor, als ob Songs auch ein bisschen wie Träume sind, in denen du denkst: ‚Ich könnte sagen, dass es um diese eine Sache geht, aber … ‘ Gleichzeitig geht es so extrem spezifisch um Menschen und eine Person und Beziehung und das gilt für jeden einzelnen Song. Ich habe komplexe Gefühle für jeden Menschen, der mir je etwas bedeutet hat, und ich denke, das wird ziemlich deutlich. Diese Linie zieht sich durch: Es ist sehr schwer, Menschen gern zu haben, die sich selbst hassen, denn sie halten dich für dumm. Und du fühlst dich dumm, weil du denkst, wenn du dich beschwerst, werden sie abhauen. Also beschwerst du dich nicht und behältst deine Gefühle für dich und vermittelst: ‚Bitte, trample gern wieder auf mir herum.‘ Es ist dieses Gefühl, das Ich-will-dass-du-auf-mir-herumtrampelst-Gefühl.“Savior Complex „Thematisch ist das hier eine Art Fortsetzung von ‚Moon Song‘: wenn du das bekommst, was du dir gewünscht hast, und jemanden datest, der sich selbst hasst. Musikalisch ist es einer der wenigen Songs, die ich jemals im Traum geschrieben habe. Ich habe mich mitten in der Nacht umgedreht und gesummt. Ich suche immer noch dieses verdammte Voice-Memo, weil ich weiß, dass es existiert. Aber es klingt so verrückt, so unheimlich. Ich wachte auf und wusste, wovon das Lied handeln sollte, und nahm es mit ins Studio. Blake Mills spielt hier Klarinette, was sehr witzig war: Er war wie ein kleiner Schuljunge, der auf dem Flur von Sound City übt, bevor er reinkommt, um vorzuspielen.“I See You„Ich hatte als Erstes diese Zeile [‚I’ve been playing dead my whole life‘] und das seit mindestens fünf Jahren. Sich jeden Tag wie ein lebendiger Zombie fühlen – so manifestiert sich meine Depression. Es ist wie Lethargie, ein Gefühl der Erschöpfung. Ich bin nicht manisch-depressiv – schön wär’s! Ich wünschte, ich wäre super kreativ, wenn ich depressiv bin. Stattdessen starre ich acht Stunden lang auf mein Telefon. Und dann beginnst du dich zu verlieben und alles wird auf den Kopf gestellt und du denkst: ‚Kann diese Person mich reparieren? Das wäre toll.‘ Dieser Song handelt davon, jemandem nahe zu stehen. Ich meine – es geht um meinen Schlagzeuger, niemanden sonst. Als wir uns trennten, war es anfangs echt hart und tat sehr weh. Es ist einfach so merkwürdig, dass du eine Person datest und ihr danach eine Weile lang fremd bist. Jetzt stehen wir uns super nah. Wir sind beste Freunde und werden es immer sein. Es gibt aber auch Leute, mit denen du zusammen bist, und es ist so romantisch, dass das Freundschaftselement zweitrangig ist. Unsere Beziehung war nie so. Das Freundschaftselement stand quasi über allem. Wir starteten Millionen Projekte miteinander, fingen sofort an, zusammen zu schreiben, konnten nicht getrennt sein und waren sehr aufeinander angewiesen. Wenn das dann wegbricht – das ist furchtbar.“Graceland Too„Ich fing an, über einen MDMA-Trip zu schreiben. Oder ich hatte ein paar Zeilen dazu und dann ging es um Dinge in meinem Leben. Wie gesagt, Gefühle für jemanden zu haben, der sich selbst hasst und total selbstzerstörerisch ist, das ist für mich das Schwerste am Menschsein. Du kannst andere Menschen nicht kontrollieren, aber es fällt schwer, jemandem nicht helfen zu wollen, wenn er etwas durchmacht. Und ich denke, es war fast eine Meditation dazu, eine Reflexion darüber, für Menschen da sein zu wollen. Ich hoffe, eines Tages werde ich mit Leuten Zeit verbringen können, die stark mit Sucht oder Selbstmordscheiße zu kämpfen hatten und doch Spaß haben. Ich möchte mehr Songs über Dinge schreiben, von denen ich mir wünsche, dass sie wahr werden.“I Know the End„Hier ist eine Reihe von Dingen, die ich auf meiner To-do-Liste hatte: Ich wollte schreien; ich wollte einen Metal-Song haben; ich wollte einen Song darüber schreiben, die Küste nach Nordkalifornien hochzufahren, was ich oft in meinem Leben getan habe. Es ist ein sehr spezielles Gefühl. Es klingt ganz schön bekifft, aber diese Fahrt fühlt sich ein bisschen an wie ein Fegefeuer, weil ich sie in allen Phasen meines Lebens unternommen habe. Also werde ich in diese Zeit zurückgeworfen, die nicht mehr existiert, als ob ich diese verschiedenen Momente in meiner Erinnerung nicht mehr auseinanderhalten kann. Ich glaube, ich habe mir immer vorgestellt, dass ich während der Apokalypse durch eine endlose Fahrt gen Norden entkommen würde. Es ist definitiv eine halbe Ballade. Für mich ist es so etwas wie – was für ein Genre ist noch mal ‚Welcome to the Black Parade‘ [von My Chemical Romance]? Es ist keine richtige Hymne – keine Ahnung. Ich liebe es, Leute mit einem Vibe auf die falsche Fährte zu führen und dann eine Kehrtwendung hinzulegen. Ich glaube, das will ich häufiger tun.“

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