if i could make it go quiet

if i could make it go quiet

„Ich musste reflektieren und habe viel über mich gelernt.“Zum Ende von „Serotonin“, dem Opener auf dem Debütalbum von girl in red, drängt sich zwischen einem belebenden Mix aus Indie-Rock und Hip-Hop dieser norwegische Dialog auf. „In dieser Aufnahme hört man, wie ich mit meinem Arzt spreche“, erzählt die als Marie Ulven geborene Singer-Songwriterin Apple Music. „Als ich am Album arbeitete, musste mich mein Freund aus einer Lobby in Bergen hinaustragen. Ich wachte auf, dachte, ich hätte ein Gehirnaneurysma und war mir sicher: ‚Jetzt sterbe ich.‘ Jetzt denke ich: ‚Okay, es fühlte sich so an, als hätte mein Herz aufgehört zu schlagen.‘“ Es ist einer dieser Momente, die exemplarisch für die bemerkenswerte Offenheit des Albums stehen – gefestigt durch Ulvens emotionale Aufrichtigkeit und ihre musikalische Herangehensweise, in der alles erlaubt und nichts verboten ist. „Serotonin“ wirft einen detaillierten Blick auf Intrusionen der Norwegerin. Doch auch auf den zehn anschließenden Tracks gibt sie sich einer unerschrockenen Selbstreflexion hin, um Gefühle, Ängste und Verhaltensweisen mit Auswirkung auf sich selbst und auf ihre Liebsten zu verarbeiten. Das alles wird in eine freigeistige Alternative-Pop-Form gegossen, die sich stilistischer Grenzen entzieht und mit dem klassischen „Bedroom Indie“-Etikett abrechnet, das Ulven bei früheren EPs in Eigenregie attestiert wurde. Die Musikerin hofft, dass das Ergebnis ihren Hörerinnen und Hörern hilft. „Es wäre echt cool, wenn ich nicht nur etwas über mein eigenes, sondern auch über das Leben anderer sagen könnte“, sagt sie. „Das Beste an Musik ist, wenn du einen Song hörst, der dir aus der Seele spricht, und du merkst, dass du vorher gar nicht dazu in der Lage warst, diese Dinge auszusprechen. Denn du hast es entweder nicht versucht oder dir fehlte die Zeit dazu.“ An dieser Stelle gibt girl in red Track für Track Einblicke in ihr Album.„Serotonin“„[Intrusionen] können einem echt Angst machen und dich in den Wahnsinn treiben, wenn du nicht weißt, was sie bedeuten, woher sie kommen oder wie du mit ihnen fertig werden sollst. Zu wissen, dass ich nicht verrückt bin und all diese Dinge gar nicht machen wollte, war so befreiend. Danach konnte ich es so gut wie hinter mir lassen. Dann schrieb ich den Song. Auch wenn sie recht schnell kamen, war es ein seltsames Unterfangen, sich die Rap-Parts zusammenzureimen. Es war gar nicht schwer, diese Lyrics zu schreiben. Sie sind aus mir herausgesprossen.“„Did You Come?“„Hier gab es keinen echten Refrain. Das Ganze ist einfach aus einem Vibe heraus entstanden. Es ist so schon catchy und das ist alles, was du brauchst. Zunächst fing ich mit den Lyrics an: ‚You should know better now to fuck it up and fuck around‘. Da dachte ich: ‚Oh, hier geht es ja ums Fremdgehen. Da ist jemand richtig wütend. Und das hier ist eine großartige Möglichkeit, die ganzen Aggressionen rauszulassen.‘ Dazu kamen dann schnelle Drums und dieses Ding mit der Gitarre und dem Klavier. Ich konnte mir hierbei viele Gedanken vor Augen führen.“„Body and Mind“„Im vergangenen Jahr habe ich viele Selbsthass-Erfahrungen gemacht, die ich mir selbst nicht erklären konnte. Festzustellen, dass du ein menschliches Wesen bist, ist abgefahren. Ich glaube, dass es vielen Menschen schwer fällt, die eigene Sterblichkeit zu akzeptieren. Menschen optimieren sich und wollen ändern, wer sie sind, nur um das Unvermeidbare irgendwie zu verhindern – was nun mal Sterben und Altern ist. Hier bin ich, wie ich versuche, mir selbst Mut zuzusprechen: ‚I’ve had my deepest cries for now/My heart’s out, my guard’s down‘. Ich akzeptiere den Mist und will mich nicht dafür fertig machen, dass ich ein Mensch bin. Im Grunde ist das Konzept des Alterns doch etwas Wundervolles, weil es bedeutet, dass man immer noch am Leben ist.“„hornylovesickmess“ „Ein witziger Track, in dem ich mir selbst darüber bewusst werde, wie ich mich zu einer Phase meines Lebens jemand anderem gegenüber wie eine Idiotin verhalten habe und ziemlich traurig darüber bin, dass das Tourleben meine Beziehung zu dieser Person belastet hat. ‚Maybe on a bus for months straight, shit’s fun but I’m going insane/Like it’s been months since I’ve had sex, I’m just a horny little lovesick mess‘ ist meine Lieblingszeile. Einfach diese lustige Vorstellung von mir, wie ich mit zehn verschwitzten Typen im Tourbus, genau genommen im Etagenbett abhänge, aber eigentlich nur an diese eine Person denken kann, die ich in diesem Moment am liebsten anrufen würde.“„midnight love“„Ich hatte eine Freundin, die immer mitten in der Nacht Besuch von einem Typen bekam. Morgens machte er sich jedes Mal aus dem Staub, so dass sie nie wirklich tagsüber miteinander abhingen, was ihr mit der Zeit echt zu schaffen machte. Ich meinte: ‚Oh, das erinnert mich doch an jemanden.‘ Ich war der Typ, der bloß dann jemanden anrief, wenn mir danach war – so nach dem Motto: ‚Ich brauche das jetzt und ich weiß, dass du es mir geben kannst, also rufe ich dich an.‘ Dabei hatte ich nie irgendwelche bösen Absichten. Dennoch habe ich dadurch so manches über mich erkannt.“„You Stupid Bitch“„Hintergrund hier ist, dass ich jemandem wegen ein paar in die Brüche gegangener Beziehungen Mut zusprechen musste. Aber ganz ehrlich: ‚Ich bin hier, ich könnte dein sein und du müsstest all das gar nicht durchmachen, wenn du nur sehen könntest, wie ich vor dir stehe und wie sehr ich mit dir zusammen sein will.‘ Es geht darum, wütend und gleichzeitig doch für jemanden da zu sein: ‚Ich liebe dich, aber du bist so dermaßen bescheuert.‘ Ein echt intensiver Song, der live eine richtige Herausforderung wird.“„Rue“„Hier singe ich zu meiner Schwester. Ich habe zwei Wochen am Stück in ihrem Bett geschlafen, weil ich so eine Angst hatte. Jedes Mal, wenn ich dabei war einzuschlafen, fühlte es sich so an, als würde mein Herz stehen bleiben. Darum – für den Fall, dass ich sterben sollte – wollte ich in ihrem Bett liegen. Ich war das reinste Chaos. Für meine Familie und meine Freunde will ich deshalb darüber singen, mich bessern zu wollen. Ich versuche, alles hinter mir zu lassen. Ich will es ihnen nicht noch schwerer machen. Außerdem geht es darum, zu erkennen, dass man selbst dafür verantwortlich ist. Wenn man sich psychisch stabilisieren will oder gegen Depressionen oder Angststörungen kämpft, ist die Erkenntnis, dass man die einzige ist, die sich wirklich selbst helfen kann, kolossal.“„Apartment 402“„Mein Apartment ist die 402. Ich stelle mir vor, wie ich aus völliger Antriebslosigkeit einfach nur auf dem Boden liege. Ich singe darüber, dass die Dinge für eine ganze Weile echt beschissen waren; ich fühlte mich echt hoffnungslos. Dann aber sehe ich, wie die Sonne reinblinzelt. Wenn sich der Sonnenschein im Staub reflektiert. Der ganze Raum öffnet sich für mich. Ich verwandle diesen Raum, in dem es mir häufig so schlecht ging, in etwas Wundervolles, einen Safe-Space, einen Wohlfühlort – er ist nicht bloß ein Ort, an dem ich sterben könnte und es niemandem auffallen würde.“„.“„In meinem Gesang verbirgt sich hier etwas, das sagen will: ‚Oh, Marie, du bist dir gerade sehr, sehr bewusst darüber, was du sagen willst.‘ Der Song ist echt traurig und ich möchte jedes Mal weinen, wenn ich an ihn denke. Es geht um diese eine Person, die mir buchstäblich entglitten ist. Das Ergebnis des Tourens, wenn du einen Tick zu lange weg bist und währenddessen einen Tick zu wenig in die Beziehung investierst. Das wirkt dann vielleicht so, als würde es einen gar nicht interessieren, aber in Wirklichkeit, also in meiner Blase, hat es sich in etwa so angefühlt: ‚Ich habe keine Kraft mehr, noch mal in ein anderes Land zu reisen und dir das zu geben, was du gerade brauchst.‘ Es hat sich dann auseinander gelebt, und am Ende gab es auch nichts weiter dazu zu sagen. Man konnte bloß noch einen Punkt hinter die Sache machen.“„I’ll Call You Mine“„So ein catchy, sommerlicher, belebender Song! Es geht darum, jemanden an sich heranzulassen, selbst wenn man zuvor bereits einige Male enttäuscht worden ist. Ich tendierte immer wieder dazu, zu glauben, dass nichts, was wirklich gut ist, von Dauer ist. Wie wenn du gerade auf dem Hoch deiner Gefühle bist, dir dann aber plötzlich klar wird: ‚Oh, irgendetwas Schlimmes ist im Anflug.‘ Vor zwei oder drei Jahren hatte ich eine richtig gute Zeit mit meinen Freunden, wir fuhren durch die Gegend und ich dachte nur: ‚Einer von uns wird als Erstes sterben.‘ Das passiert jedes Mal, dieses Bewusstsein über den Tod oder der Gedanke daran, dass jemand verletzt werden wird.“„it would feel like this“„[Der Albumtitel] „if i could make it go quiet“ bezieht sich auf den inneren Lärm, all die Gefühle und Gedanken, die so überwältigend sind, dass sie einem jede mentale Kraft rauben und sich dabei im gesamten Körper ausbreiten. ‚Wenn ich es ruhig stellen könnte, würde es sich so anfühlen‘ ist das Gefühl, das ich bei diesem Song habe. Dieser Ort absoluter Stille, dieser wunderschöne Ort, an dem es mir gut gehen kann. Ich lasse alles wirken. Es fühlt sich an wie die Credits am Ende eines Films, denn das Album ist so voll gepackt, dass man sich auch denken könnte: ‚Wow, was habe ich da gerade gehört?‘ Es gibt keine Worte dafür. Man braucht auch keine. Ich habe mit diesen Songs einfach nur mein Herz ausgeschüttet.“

Wähle ein Land oder eine Region aus

Afrika, Naher Osten und Indien

Asien/Pazifik

Europa

Lateinamerika und Karibik

USA und Kanada