

„Dieses Album ist ein Body of Work. Man muss es durchgängig hören, von Track eins bis 16. Bloß nicht den Shuffle-Modus nutzen“, sagt Alvaro Soler im Interview mit Apple Music und lacht. „Das ist verboten.“ Seit Mitte der Zehnerjahre steht der 1991 in Barcelona geborene Musiker für weltoffenen Pop, der von lateinamerikanischen Rhythmen, mediterraner Leichtigkeit und eingängigen Hooks geprägt ist. Mit seinem vierten Album „EL CAMINO“ schließt sich für ihn ein Kreis: „Der Albumtitel bedeutet auf Deutsch ‚Der Weg‘. Und natürlich ist es mein Weg. Es ist zehn Jahre her, dass mit ‚El Mismo Sol‘ die erste Nummer herauskam, mit der ich erfolgreich war. Der letzte Song von meinem Debütalbum hieß damals ‚El Camino‘. Ich fand, das passte gut als Titel.“ Soler sieht das Album als Metapher für das Leben: „Ich habe das Gefühl, jeder von uns vergleicht sein Leben mit einem Weg. Es gibt viele Berge, auf die wir hochmüssen, viele Steine, aber auch schöne Wasserfälle. ‚El Camino‘ steht also für alles, was ich erlebt habe und im Moment gerade bei mir passiert.“ Im Folgenden führt Alvaro Soler durch seine persönlichen Höhepunkte des Albums. „Intro“ Letztes Jahr sind in meinem Leben, aber auch im Leben meiner Familie, zwei sehr wichtige Dinge passiert. Mein Opa ist gestorben – und meine Tochter wurde geboren. Das war super tough für uns alle und mit sehr vielen Emotionen verbunden, schwierigen, aber auch schönen. Es hat uns aber auch daran erinnert, dass wir Teil eines „Circle of Life“ sind: Das Leben kommt und das Leben geht. In dieser Zeit haben wir toll zusammengehalten, das hat uns unglaublich viel Energie und Kraft gegeben. Die ganze Sache war so ein großer Teil von mir, dass ich das Gefühl hatte, davon erzählen zu müssen. Im Intro ehre ich deshalb meinen Opa. Man hört, wie er ein paar Dinge sagt, die wahrscheinlich nur meine Familie versteht – das ist auch gut so. Dazu kommen Möwen, Vögel, all diese Geräusche, die mich an ihn erinnern. „Apágeme“ In diesem Song geht es darum, dass man mich ausschaltet. Vieles in unserer Welt ist heute digital – und gleichzeitig gibt es unendlich viele Yoga-Retreats, Detox-Angebote und all diese Versuche, wieder runterzukommen. Natürlich hat die Digitalisierung viele Vorteile, aber sie kam einfach zu schnell. Man muss erst lernen, mit ihr umzugehen, wie mit allem im Leben. Neulich bin ich mit dem Auto gefahren, und plötzlich läuft eine Frau auf die Straße – ohne zu schauen, ganz vertieft ins Handy. Wir haben zu Hause zwei Strategien. Erstens: Das Handy kommt nicht mit ins Schlafzimmer. Zweitens: Morgens erst nach dem Duschen draufschauen. Das hilft, wach zu werden, ohne dass die Augen jucken oder man gleich gestresst ist. Fun Fact: Der Song ist zunächst ganz normal produziert. Im Akustik-Part switcht er dann aber zu einer einfachen iPhone-Aufnahme. Auch das zeigt den Gegensatz zwischen der perfekt digitalen Welt und der Wirklichkeit, ohne Effekte, Kompression oder Autotune. „Lo Que Pasó, Pasó“ Hier haben wir ein Feature von Marta Santos, einer jungen Künstlerin aus Sevilla mit einer unglaublich schönen Stimme. Ich finde, der Song hat erst durch sie wirklich angefangen zu fliegen. Der Titel bedeutet: „Was passiert ist, ist passiert.“ Das ist so etwas wie mein Lebensmotto. Wenn etwas schiefgeht oder anders läuft als geplant, bringt es nichts, sich den Kopf zu zerbrechen. Man sollte nicht an der Vergangenheit festhalten, sondern weitermachen. Diese positive Art zu denken begleitet mich durchs Leben. Jede Strophe des Songs beginnt gleich und endet gleich, nämlich mit den Worten: „Wenn ich im nächsten Leben …“ Dann folgen all die Dinge, die ich im nächsten Leben machen würde. Die Idee dazu kam von meiner Frau. Wir waren in Madrid beim Abendessen und ich fragte sie, worüber ich am nächsten Tag schreiben sollte. Sie sagte: „Schreib über das, was du im nächsten Leben machen willst.“ „Mejor Que Yo“ Das Album hat zwei Phasen. Die erste ist die äußere: voller Energie, mit Chören, vielen Stimmen, viel Spaß und Uptempo. Eben wie man es von mir kennt. Dann folgt dieser Track, der wie ein Interlude wirkt. Plötzlich öffnet sich eine Wolke, ein Ort, an dem man nicht genau weiß, wo man gerade ist. Diese Passage steht für mein Inneres, für meine Gedanken. Deshalb klingt alles so dreamy, fast schwebend. Hier geht es von der lauten Welt in die stillere Reflexion. Ich stelle mir in dem Song eine grundlegende Frage: Was wäre gewesen, wenn ich nicht den Weg der Musik gegangen wäre? Wäre ich glücklicher oder trauriger? Wäre ich trotzdem irgendwie erfolgreich geworden? „Cero“ (feat. Namayana Women’s Choir) Ich liebe es, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten. Auf diesem Album habe ich das bewusst etwas heruntergefahren, weil ich wieder zu meiner Essenz zurückkehren wollte. Deshalb gibt es nur zwei Features. Bei diesem Song ist der Namayana Women’s Choir zu hören, ein Frauenchor aus einer Region im hohen Norden Kenias, etwa zehn Stunden von Nairobi entfernt. Die Sängerinnen singen in der lokalen Sprache Rendille. Als ich sie vor fünf Jahren kennenlernte, habe ich mir noch gar nicht so viele Gedanken gemacht – wir haben einfach zusammen gesungen. Erst während der Aufnahmen zum neuen Album erinnerte ich mich daran. Mein Kameramann schickte mir die alten Audiospuren, ich legte Akkorde darunter – so entstand „Cero“. Was die Frauen da singen, ist eigentlich ein Kirchenlied: „Oh Lord, it is by your might, that we are here.“ („Oh Herr, durch deine Macht sind wir hier.“) Eine wunderschöne Wertschätzung des Lebens, ein Dank dafür, überhaupt zu existieren. Gerade in Zeiten, in denen so viele Kriege herrschen und Menschen sterben, passt das perfekt. „Jardin De Los Recuerdos“ Das ist einer meiner absoluten Lieblingstracks auf dem Album. Auf Deutsch bedeutet der Titel „Garten der Erinnerung“. Tatsächlich war dieser Titel zuerst da, noch bevor der Song existierte. Eine Zeit lang sollte das sogar der Name des gesamten Albums werden, aber das fühlte sich dann zu sehr nach Vergangenheit und zu wenig nach Gegenwart und Zukunft an. Die Idee zu dem Song entstand in einer schlaflosen Nacht, nachdem meine Tochter mich geweckt hatte. Ich ging ins Studio, spielte ein bisschen auf der Gitarre und nahm das auf einem alten Kassettenrekorder auf. Ich war müde, sodass ich alles extrem langsam spielte – also beschleunigte ich die Aufnahme, und plötzlich hatte die Melodie diesen ganz besonderen Vibe. Darauf baute ich den Song auf. Ursprünglich klang die Produktion völlig anders, doch irgendetwas fehlte noch. Also nahmen wir alles auseinander und spielten ihn komplett neu ein – diesmal mit echter Gitarre und richtigen Drums. „Outro“ Das Outro ist das Grande Finale. Wo wir auf dem Intro meinen Großvater hören, ist es hier der Herzschlag meiner Tochter. Es ist also wirklich ein „Full Circle“-Album. Es fängt mit dem Tod an und endet mit dem Leben.