Nach dem 2018 erschienenen, eher von Pop und Electronic geprägten zweiten Album „Electric Light“ kehrte James Bay 2022 mit „Leap“ in die kernigen Singer-Songwriter-Gefilde von „Chaos and the Calm“ zurück. Das Debütalbum bedeutete für ihn 2015 nicht nur den Durchbruch, es brachte dem im britischen Hitchin geborenen Künstler auch einen BRIT Award und drei Grammy-Nominierungen ein. Für Bay ist das vierte Werk „Changes All The Time“ jedoch das umfassendste und wahrhaftigste Porträt von ihm als Musiker. „Das Gitarrenspiel war schon immer ein zentraler Teil dessen, was mich als Künstler ausmacht“, sagt er gegenüber Apple Music. „Ich habe einmal versucht, ohne Gitarre auf der Bühne zu stehen, aber ich fühlte mich zu nackt. Bei der Entstehung dieses Albums ging ich einen recht weiten Weg und sagte mir schließlich: Ich möchte mehr denn je, dass die Songs Priorität haben und mein Gitarrenspiel das Zentrum dieser Songs ist. Ich wollte, dass die Kunst und das musikalische Können wirklich rüberkommen und auf einem anderen Niveau stattfinden als früher.“ „Changes All The Time“ spannt einen weiten Bogen. Das Album beginnt mit dem gefühlvollen Stampfer „Up All Night“, bei dem Noah Kahan und The Lumineers mitwirken. In „Hope“ ist am Gospel geschulte Sinnsuche zu hören, am breit angelegten Rock ’n’ Roll-Drama „Easy Distraction“ schrieb Brandon Flowers von The Killers mit. „Speed Limit“ wird vom feurigen Geist des legendären Muscle Shoals-Sounds umweht. Die Integrität und die durchdringende Musikalität der klassischen Alben, aus denen Bay im Laufe seiner Karriere schöpfte, tropfen hier aus jedem Ton. Gleichzeitig gibt er mehr von sich preis als je zuvor – ein Resultat seiner neuen Selbsterkenntnis und des damit einhergehenden Selbstwertgefühls. „Ich hoffe, dass ich im Laufe der Zeit immer wieder neue Facetten von mir als Künstler freilegen und entdecken werde. Aber ich mache mir nicht mehr so viele Gedanken darüber, wie das wirkt“, sagt er. „Ich denke eher: ‚Nun, diese Platte bin ich. Das bin ich im Moment.‘“ Entdecke mehr, wenn er uns Track für Track durch das Album führt. „Up All Night“ (feat. The Lumineers & Noah Kahan) Mark Broughton, der Toningenieur dieses Albums, spielte bei den meisten Stücken Klavier. Wir waren mit einem Take von etwas anderem fertig, und er klimperte einfach herum. Er spielte ein paar Noten, und ich nahm eine Gitarre und antwortete mit demselben Thema, fügte ein paar weitere Akkorde hinzu, und schon war die Idee für den Song geboren. Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir damit, den Song zu schreiben. Noch am selben Abend nahmen wir ihn auf. Er klang wie eine tolle Party, und ich überlegte: „Mit wem sollen wir das teilen?“ Ich kenne The Lumineers und Noah [Kahan], der früher mein Support-Act war, schon seit Jahren. Sie waren so freundlich, ein bisschen was zu ergänzen, nachdem wir mit unseren Aufnahmen fertig gewesen waren. In dem Song gibt es überhaupt kein Schlagzeug. Da wird nur gestampft und geklatscht. „Everburn“ In vielen meiner Songs spielt meine Beziehung eine Rolle. Wir sind schon sehr lange zusammen, haben einiges durchgemacht und tun es noch immer. Das ist stets etwas, das ich in meinen Texten erforschen und ausdrücken möchte. Viele meiner Lieder drehen sich um Herzensdinge. Ich weiß nicht, wie mein Leben von außen betrachtet wirkt, aber es ist so real wie das von allen anderen Personen und steckt genauso voller Hindernisse. „Everburn“ handelt von der Realität. Manchmal wird es kompliziert. Aber die Liebe kann alles überwinden und dafür sorgen, dass du stark bleibst. „Hope“ Gospelmusik bewegte mich schon immer sehr. Aretha Franklin und Ray Charles besaßen einen Gospel-Hintergrund, beide waren in meiner Jugend wichtige Inspirationsquellen. Ich habe das immer bewundert, aber zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, einen Song zu haben, der zu mir als Künstler passt und in dem ich auch meine Gospel-Seite zeigen kann. Es gefiel mir gut, das mit dem Erzählen einer Geschichte zu verbinden. Hoffnung zu haben: Das ist ein recht weit gefasster Begriff. Aber hey, es ist so nachvollziehbar. Ich kann ein ziemlicher Pessimist sein, und ich habe diesen Song geschrieben, um dagegen anzukämpfen. Denn wenn du das nicht tust, bringt [dein Pessimismus] dich um. „Easy Distraction“ Bruce Springsteen ist seit meiner Geburt ein Thema. Mein Vater mag ihn sehr und gab diese Leidenschaft an meinen Bruder und mich weiter. Diesen Song schrieb ich gemeinsam mit Brandon Flowers, von dem ich ebenfalls ein großer Fan bin. Und der verehrt Bruce Springsteen mal so richtig. Das zeigt sich hier wirklich auf prächtige Weise. Es war etwas sehr Besonderes, sich in diesen musikalischen Gefilden zu bewegen, und es war eine wundervolle Erfahrung. Der Song ist genauso stark von The Killers beeinflusst wie von Springsteens „Born to Run“-Zeiten. „Speed Limit“ Diesen Song schrieb ich in Nashville zusammen mit der wunderbaren Natalie Hemby [Singer-Songwriterin und Mitglied der Countryband The Highwomen]. Sie wuchs mit Southern Soul auf und schreibt eine vielseitige Mischung aus Gospel- und Countrymusik. Sie beherrscht diese Art von Liedern sehr instinktiv, und das tue ich auch, denn viele meiner Einflüsse sind amerikanisch: Country, Blues, Gospel und Folk. Zu dieser Session fuhr ich etwas zu schnell. Ich dachte an meine Tochter und die Leute zu Hause. Ich hatte diese Textzeile im Kopf, noch ohne Melodie: „I broke the speed limit to get to you…“ („Ich habe das Tempolimit überschritten, um zu dir zu kommen …“) Als ich in Natalies Haus angekommen war, fragte ich: „Kann ich mir schnell eine Gitarre schnappen, das in mein Telefon singen und sehen, was dabei herauskommt?“ Ich bin wirklich stolz auf meine Zusammenarbeit mit Natalie. Sie hat so etwas Müheloses. „Talk“ Es fällt mir schwer, das, was ich singe, im echten Leben zu sagen. Ich habe gelernt, ein Bühnenkünstler zu sein, um verletzliche Begegnungen zu vermeiden. Ich liebe es, aufzutreten, ich mache das nicht nur, um mich zu verstecken. Aber persönliche Dinge in persönlichen Szenarien mitzuteilen, ist für mich nicht so einfach, wie ein Lied zu schreiben. Trotz der Angst und der Emotionen, die in diesem Song stecken, ist es eine große Freude, ihn zu spielen. „Yellow“ von Coldplay ist eine angsterfüllte Nummer, aber eines weiß man: Jedes Mal, wenn sie die spielen, haben sie einen Heidenspaß. „Hopeless Heart“ Diesen Song verfasste ich vor ein paar Jahren in der Zeit zwischen dem letzten und diesem Album. Er ist ein wenig albern, aber auf eine sehr schöne Art und Weise. Ich erinnere mich, dass mich Fleetwood Mac inspirierten. Ich wollte einfach nur meine Brust und mein Herz öffnen und es hinausschmettern. Es war eine lustige, brillante Sache zu sagen: „You tore out my hopeless heart, I never want it back.“ („Du hast mein hoffnungsloses Herz herausgerissen, ich will es nie wieder zurück.“) Ich versuche, etwas loszuwerden, und das sind die Worte, die ich gewählt habe, um es auszudrücken. Manchmal muss man sich die Dinge von der Seele reden. Mir passierte etwas Schwieriges, aber im Großen und Ganzen war das in Ordnung. „Some People“ Das war unsere letzte Aufnahme. Wir verlegten all diese Kabel im Treppenhaus und schlossen ein paar Mikrofone an. Die Inspiration dazu fanden wir bei Led Zeppelin: Sie sind berühmt dafür, das Schlagzeug im Treppenhaus aufzustellen und so einen gigantischen Sound zu erzeugen. Es war ein Ort, an dem wir Harmonien stapeln konnten, um ein ätherisches Gefühl zu bekommen – so wie bei all diesen umwerfenden Harmoniegruppen wie den Fleet Foxes oder Crosby, Stills & Nash. Alles nimmt sich zurück, es wird verletzlich und intim. Nach einer so anstrengenden und lärmenden Aufnahme fühlte sich das sehr gut an – wie ein letzter Atemzug, bevor wir das Kapitel des Albums schlossen. Es hätte gut und gerne der letzte Song auf dem Album sein können, aber ihn als Flüstermoment in der Mitte zu haben, während noch dieser massive Wirbelsturm tobt, ist auch schön. „Go On“ Dieses Lied besitzt eine besondere Bedeutung. Ich verlor zu Beginn der Pandemie sehr plötzlich ein Familienmitglied. Das passierte nicht wegen der Pandemie, er litt an einer furchtbaren Krebserkrankung, die ihn regelrecht überrollte und ihn schließlich von uns nahm. Wie in jeder Familie hinterließ das eine Lücke. Ich wollte mich von ihm verabschieden. Ich wollte ihm meinen Respekt erweisen und ihm sagen: „Reise wohlbehalten weiter, verschwinde von hier. Du warst verdammt großartig. Wir danken dir. Wir lieben dich. Alles Gute.“ Das zu schreiben und aufzunehmen, war sehr bewegend. „Crystal Clear“ Hier versuche ich, das zu machen, was Maler:innen oder Fotograf:innen tun, wenn sie einen Augenblick einfangen und ihn so für alle Zeit als Motiv festhalten. Jedes Mal, wenn man zu dem Gemälde oder dem Foto zurückkehrt, sieht man diesen einen Moment. Ich war auf Tournee, als ich den Song schrieb. Ich war gerade Vater geworden. Das Leben wird dann sehr schwierig. Es kann sich unangenehm und ruhelos anfühlen, zu versuchen, bei einer so großen Veränderung dabei zu sein, wenn man gleichzeitig einen Beruf hat, bei dem man ständig unterwegs ist. Ich wollte die Emotionen und diese Realität in dem Song ansprechen. Es ist ein Schnappschuss dieses Lebensabschnitts. „Dogfight“ Den Song schrieb ich mit Phil Plested [der schon für Lewis Capaldi, Mimi Webb, Bastille und Niall Horan komponierte] und Holly Humberstone. Holly ist großartig. Ihr Sound und ihre Herangehensweise sind jetzt schon zeitlos, aber ansonsten ist sie eine Newcomerin. Beide kennen wir diese Angst davor, Künstler:in zu sein. Dass ich schon eine Menge Erfahrung habe und sie noch den ersten Schock dieses neuen, aufregenden Rampenlichts verspürt, spielt dabei keine Rolle. Ich wollte darüber sprechen, wie schwer es sein kann, einfach ich selbst zu sein, und sie entgegnete: „Das kenne ich. Es kann sich wie ein verdammter Nahkampf [Dogfight] anfühlen.“ Sobald sie das gesagt hatte, ging es los. Wir probierten bei diesem Song ein paar Produktionsmethoden aus. Der Start war ein wenig synthielastig, aber als wir es auf diese Weise versuchten, fühlte es sich wie der Albumabschluss an. Im Outro dieses Songs habe ich mich emotional völlig verloren. Die Art, wie die Band in den letzten Momenten spielt, ist einfach unglaublich.
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