Life By Misadventure

Life By Misadventure

Schon in der zweiten Woche des Aufnahmeplans für Rag’n’Bone Mans Album machte sich Verzweiflung breit. „Wir waren an unserer Belastungsgrenze“, gesteht der als Rory Graham geborene Singer-Songwriter im Gespräch mit Apple Music. Als Graham, Keyboarder Ben Jackson-Cook und Bill Banwell im Frühling 2020 in Nashville ankamen, veränderte die Corona-Pandemie alles. In ihrem Mietshaus zur zweiwöchigen Quarantäne gezwungen, setzte beim Trio Frustration ein. „Das Studio war etwa 20 Meter entfernt, aber abgeschlossen“, sagt er. „Als wollte uns jemand damit ärgern.“ Um das Beste aus der Situation zu machen, verbrachten sie die Tage damit, die Songs zu proben. Diese Erfahrung war es, die Grahams Glauben stärkte, dass „Life By Misadventure“ mit einer Band und Live-Charakter aufgenommen werden sollte – vor allem, um es vom homogenen, überproduzierten Pop-Sound zu lösen, den er zu der Zeit im Radio hörte.Graham und Jackson-Cook waren bereits zuvor in Nashville gewesen, um mit Songwriterinnen und Songwritern aus der Gegend zusammenzuarbeiten, darunter unter anderem Mike Reid und Allen Shamblin sowie Natalie Hemby von The Highwomen. „Alles war so entspannt und wohldurchdacht“, berichtet Graham über die Sessions, die ausserhalb der Studios an Küchentischen und lediglich mit Gitarren, Blöcken und Stiften ausgestattet stattfanden und „einzig dem Song als solches dienten, ohne zu versuchen, den nächsten Radiohit zusammenzuschustern.“ Die Reise half dem dreifachen BRIT Award-Gewinner dabei, seine Vision eines experimentierfreudigeren Rag’n’Bone Man-Sounds zu verwirklichen und im Vergleich zu seinem 2017 erschienenen Debüt „Human“ auch Sounds aus Folk, Jazz, New Wave, Funk, Blues und Soul aufzunehmen.Nachdem sie dann endlich ins Studio durften, schufen die Musiker innerhalb von sechs Tagen 13 bestens eingeübte Songs und wurden dabei musikalisch von Wendy Melvoin von The Revolution sowie dem GRAMMY-prämierten Drummer Daru Jones unterstützt. Innerhalb dieser Tracks erkennt man Grahams aufrichtige Bewältigung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. „Ich habe eine Menge über mein jüngeres Ich nachgedacht“, sagt er, „aber auch darüber, wer ich jetzt bin: ein Vater mit Verantwortung und Moral. Ich dachte: ‚Oh shit, ich habe ein Kind in diese Welt gesetzt, dabei ist die Zukunft echt angsteinflössend.‘“ An dieser Stelle führt uns Rag Track für Track durch sein Album – und offenbart in einem exklusiven Kurzfilm sogar noch mehr darüber.„Fireflies“„Der Song soll meinen Sohn vermitteln, keine Angst zu haben und mutig zu sein. Für Kids, die gerade aufwachsen, ist es eine beängstigende Welt – vor allem im Zeitalter von Social Media. Auf Allen Shamblins Ranch sah ich eines Nachts Glühwürmchen und dachte nur: ‚Gott, wenn mein Sohn das jetzt sehen könnte, würde er glauben, dass das Zauberei ist.‘ Im ersten Part hört man, wie ich ausserhalb von Mikes Studio Gitarre spiele. Wenn es noch früh am Morgen ist, hört man krähende Hähne und Grillenzirpen in der Ferne. Ich nahm die Soundkulisse mit dem Handy auf, im Song kann man das alles heraushören. Ich hatte das Gefühl, dies sei ein grossartiger Opener – einfach nur die Geräusche dieses Ortes, sonst nichts.“„Breath in Me“„Die Liebe zu deinen Kindern ist mit keiner Liebe auf der Welt zu vergleichen. Hier möchte ich sagen: ‚Ich würde alles für deine Sicherheit tun.‘ Als ich das erste Mal Mike und Allen traf, begegneten mir zwei dermassen herzliche Menschen, dass ich dachte, ich würde sie schon mein ganzes Leben lang kennen. Ein paar der Lyrics standen schon, woraufhin Allen meinte: ‚Wenn du die Gelegenheit hättest, deinem Sohn zu sagen, was du ihm wirklich sagen willst, was würdest du sagen?‘ Danach kam alles wie von allein.“„Fall in Love Again“„In Nashville gab es im Grunde nur eine Session, die nicht ganz so rund lief. Die Inspiration überkam uns einfach nicht. [Ben und ich] waren beide etwas platt, also haben wir uns auf dem Rückweg ein paar Flaschen Wein besorgt. Nun, das hier ist vermutlich der beste Song, den ich je betrunken geschrieben habe. Ben ist der Wahnsinn, wenn es darum geht, eine Melodie aus dem Ärmel zu schütteln. Er spielte exakt diese Melodie auf seiner Akustikgitarre. Zu dieser Zeit war ich kurz davor, in eine Beziehung zu geraten, doch der Zeitpunkt fühlte sich nicht richtig an. Die Message ist deshalb: ‚Besser du gehst jetzt nach Hause, ansonsten wird die Sache zu heikel.‘“„Talking to Myself“ „Ein echt guter Song, den ich aber eigentlich gar nicht auf dem Album haben wollte. Wenn ich ihn mir jetzt anhöre, rührt er mich. Er ist zu einer Zeit entstanden, in der es mir echt beschissen ging. Ich hatte mich gerade von meiner Freundin getrennt, war die ganze Zeit allein und in meinen Gedanken gefangen. Ich zerfloss in Selbstmitleid. Es wird nicht leicht sein, den Song live zu spielen. Ich meinte: ‚Passt auf, er kann mit aufs Album, aber bitte lasst uns keine Single daraus machen, weil ich keine Lust habe, dafür Radio-Promo zu machen und dann beim Singen todtraurig zu sein.‘“„Anywhere Away from Here“„Ich lernte P!nk kennen, als mein erstes Album herauskam und wir einen gemeinsamen Auftritt in Paris hatten. Sie ist einfach supernett und absolut auf dem Boden geblieben. Sie sah unserem Live-Set zu und genoss es offensichtlich sehr. Ein paar Jahre später habe ich sie bei den BRIT Awards wiedergetroffen und bereits dort die Idee einer Zusammenarbeit aufgeworfen. Ich schickte ihr ‚Anywhere Away from Here‘ und sie meinte: ‚Yeah, gefällt mir. Lass uns das machen!‘ Darauf bin ich so stolz, denn obwohl der Song so poppig rüberkommt, ist er doch recht unaufdringlich – alles andere als eine erzwungene Power-Ballade.“„Alone“„Der Song bezieht sich auf ein Gespräch, das ich vor ein paar Jahren mit einer Freundin führte. Es ging um den Druck, dem Frauen ausgesetzt sind, sobald sie anfangen, Kinder zu kriegen und eine Familie zu gründen. Manche Fragen – ‚Wann bekommst du endlich Kinder?‘ oder ‚Wann wirst du heiraten?‘ – sollte man Frauen niemals stellen, denn manche wollen einfach keine Kinder oder sesshaft werden, weil es nun mal nicht dem Leben entspricht, das sie führen möchten. Leider sind veraltete Vorstellungen davon, was Frauen ab einem gewissen Alter tun sollten, aber immer noch präsent. Und das ist ziemlich unfair.“„Crossfire“„Ab hier geht es etwas mehr in Richtung Rock ’n’ Roll. Ich hatte diesen abgedrehten, wiederkehrenden Traum, in dem die Welt unterging. Auf dem gesamten Planeten waren nur zwei Menschen übrig geblieben, die sich fragten, was schief gegangen war. Und eine Geisteshaltung, der zufolge jeder bloss darauf wartete, dass jemand anderes die Dinge ändert, was letztlich den Untergang besiegelte. Ein seltsamer Traum, aus dem aber ein echt cooler Song entstanden ist.“„All You Ever Wanted“„Die Lyrics habe ich schon vor einer Weile geschrieben. Ich war richtig angepisst, als ich eines Tages nach Brighton zurückkehrte. Ich meinte: ‚Lass in den [Blind Tiger Club]‘, diesen alten Rock ’n’ Roll-Schuppen. Daraufhin meinte mein Kumpel: ‚Der ist mittlerweile ein Coffeeshop.‘ Es scheint, als würde einfach alles gentrifiziert werden. Alles wird durchgesäubert. Richtig öde. Was ich daran romantisiere, also die Erinnerungen, als ich noch so 17, 18 war, sind meine ersten Livekonzerte in kleinen, stickigen, runtergekommenen Kaschemmen. Wenn es diese Orte nicht mehr gibt, wo sollen Bands, Künstlerinnen und Künstler dann ihre ersten Erfahrungen sammeln? Ist es das, was ihr wollt? Noch ein verdammter Coffeeshop? Ist euch das lieber als Locations, die wirklich einen kulturellen Mehrwert bieten?“„Changing of the Guard“„So habe ich mich kurz vor der Geburt meines Sohnes gefühlt, als mir bewusst wurde, dass ich einige Veränderungen in meinem Leben vornehmen muss – nicht mehr so viel Party machen, mehr Verantwortung übernehmen. Es geht auch ein Stück weit um die Beziehung zu meinem Vater, die mittlerweile sehr gut ist, was aber nicht immer der Fall war. Also auch darum, wie wichtig es ist, den richtigen Draht zu seinen Kids zu haben und offen und ehrlich zu sein, anstatt davor zurückzuschrecken, seine Gefühle zu offenbaren.“„Somewhere Along the Way“„In Tennessee hatten wir einen Tag frei und ich fragte, ob es in der Gegend noch irgendjemanden gäbe, mit dem wir zusammenarbeiten könnten. Jemand meinte, Pat McLaughlin sei ein ziemlich guter Songwriter, der früher auch mal mit John Prine [Gitarre] spielte. Ich schnappte völlig über, weil ich so ein riesiger Fan von John Prine bin. Mann, hat das Spass gemacht! Er stellte uns sein Riff zu ‚Somewhere Along the Way‘ vor, woraufhin wir über männlichen Stolz witzelten, über die Dinge, die unsere Väter sagten, Dinge wie: ‚Ich werde nicht anhalten und nach dem Weg fragen. Den finde ich schon allein.‘ Oder: ‚Ich brauche keine Bedienungsanleitung‘ – und zwei Stunden später ist dann alles in seine Einzelteile zerlegt. Es ist ein fröhlicher, nicht zu ernster Song.“„Time Will Only Tell“„Diesen Song haben wir ebenfalls mit Pat McLaughlin gemacht. Das erste Mal, als wir ihn trafen, war es genauso, wie du dir Nashville ausmalst: Da ging er mit Latzhose, alten, schmutzigen Stiefeln und Augenklappe aus seinem Holzhaus. Was er eingangs spielte, hatte eine ziemlich seltsame Akkordfolge, ein echt merkwürdiges Riff. Ich meinte dann sofort: ‚Dazu habe ich Lyrics.‘ Wir haben den Song innerhalb von zwei Stunden geschrieben. Es geht darum, sich unsicher in der Welt zu fühlen. Als Trump die Macht hatte und es auch in Grossbritannien nicht wirklich besser zuging, war das eine richtig seltsame Zeit für die Welt.“„Lightyears“„In ‚Lightyears‘ geht es darum, dir selbst einen Rat zu geben, wenn du zu deinem jüngeren Ich sprichst. Der Song ist aus der Sicht meines Grossvaters geschrieben, der sagt: ‚Verschwende dein Leben nicht mit Negativem, geniesse den Moment!‘ Die Produktion war zunächst ziemlich üppig – überall Streicher und wuchtigere Drums. Ein bisschen zu viel des Guten. Nun ist es bloss noch Ben, der Piano spielt. Ich habe das Fender Rhodes eingespielt und schliesslich auch noch Schlagzeug.“„Party’s Over“„Diesen Song habe ich mit [Cherry Ghost-Frontmann] Simon Aldred geschrieben, einem echt guten Freund. Es geht um eine Person, die in einer Beziehung verharrt, weil sie denkt, es sei das Richtige. Der Song ist jemandem gewidmet, der mir einigermassen nahestand und die Beziehung bloss der Kinder wegen aufrechterhielt. Vielleicht auch, weil beide dachten, es gehöre sich nun mal so, auch wenn sie damit ziemlich unglücklich waren. Wenn du unglücklich bist, ist das vor allem für die Kids echt mies. Es geht also darum zu sagen: ‚Pass auf, trenne dich einfach, sei frei und mache einen Neuanfang‘. Im Grunde eine ziemlich positive Botschaft.“„Old Habits“„Der Song hier kam zustande, als das Album eigentlich schon fertig war. Ich schrieb ihn ein paar Nächte, nachdem ich aus Nashville zurückgekommen war. Er handelt von einem alten Paar, an das ich mich erinnere und die hier früher immer in einem Pub sassen, immer besoffen, immer im Streit. Aber sie hielten einander fest. Zwei Menschen, die offenkundig schlecht füreinander sind, aber irgendwie doch zusammen funktionieren. Im Studio hatte ich mit der Demo begonnen, aber irgendetwas daran klang unsauber. Also haben wir ein Mikro in der Scheune [gleich neben seinem Studio] aufgestellt und den Song live gespielt. Was man auf dem Album hört, ist gleich der erste Take, den wir gemacht haben. Es ist eine echt brachiale Aufnahme.“„Anywhere Away from Here“„Der Song ist noch von früher, als ich zum ersten Mal auf andere Menschen aus der Branche traf und mir nur dachte: ‚Was zur Hölle mache ich eigentlich hier?‘ Wenn dein erstes Album rauskommt, wirst du regelrecht zur Schau gestellt. Das ist richtig unangenehm. Und plötzlich weisst du nicht mehr, ob du wirklich die richtige Entscheidung getroffen hast. Es schien, als wollten so viele Menschen meine Aufmerksamkeit. Dabei bin ich eine recht ruhige Person, was es schwierig gemacht hat, mich selbst durch all diese Situationen zu führen.“„Behind Rag’n’Bone Man’s Life By Misadventure“„Wir haben ‚Anywhere Away from Here‘ und ‚Fall in Love Again‘ in der Union Chapel [in London] gedreht. Während dieser paar Stunden hatten wir alle ein Lächeln auf den Lippen, weil es sich wie ein Auftritt anfühlte, als wir in dieser riesigen Kirche spielten. Wir waren alle richtig glücklich, dachten uns zum Schluss aber auch: ‚Können wir jetzt bitte einen Gig spielen?‘ Für mich war das hier von Anfang an ein Live-Album. Ich bin so begeistert, dass ich eine Live-Version aufnehmen konnte, die ich rausbringen kann, wenn das Album bereits ein, zwei Jahre draussen sein wird.“

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